
Es ist kein Geheimnis, das fünfte Rad am Wagen kann nicht
erfunden, lediglich als Reserve im Kofferraum transportiert
werden. In der Musik gehört schon seit einer guten Ewigkeit
die Verpackung als Reserve zum Erfolgskonzept. Denn im
Grunde ist ja alles irgendwie schon mal dagewesen. Die fünf
Metaller der Bremerhavener Formation Tales of Grimm hatten
es somit nicht besonders schwer, aus Blackmetal, Deathmetal,
Deathcore, Postmetal und Jazz/Progressive-Fusion Metal
einen passenden Deckel für ihren gemeinsamen Topf zu finden.
Für die Besucher eines Konzertes von Tales of Grimm ist es dazu
wohl ziemlich schnuppe, welchen namentlichen Zusatz das Metall
ihrer Helden bekommt, Hauptsache es rotzt, rockt und rollt. Auf
der Bühne müssen nämlich die Hosen runtergelassen werden, und
das scheint Tales of Grimm zu liegen. Die Band erfreut sich von
Konzert zu Konzert zunehmender Beliebtheit, weil sie hemmungslos
rauslässt.
Sich auf einen Nenner zu einigen dürfte für Marvin Hanegraaf (Gesang),
Fabian Gevers (Solo-Gitarre), Jan-Eric Ortgies (Rhythmus-Gitarre),
Maurice Pfay (Bass) und Tobias Seidscheck am Schlagzeug
also kein Problem gewesen sein, als sie sich im Februar 2016 gründeten.
Ihr Metal brodelte da zwar noch unter Beigabe von unterschiedlichen
Zutaten auf dem Herd, da sie aus verschiedensten
Küchen aufeinander stießen, aber das Geheimrezept der aktuellen
Mannschaft heißt nun Groove-Progressive-Deathmetal. Wer mit
dem Begriff nicht wirklich etwas anfangen kann, der schaut einfach
mal bei einem ihrer Auftritte vorbei und lässt sich bekochen.
Aus Gründen der allgemeinen Übersättigung beim Publikum ging es
Ende der 90er bergab mit der Popularität dieses extremen Stils. Zu
Beginn des neuen Jahrtausends erstarkte der Deathmetal wieder.
Tales of Grimm berührt so etwas nur peripher. Sie haben sich letztlich
dieser Richtung verschrieben, weil sie von ihr überzeugt sind.
Die Kost ist brutal gewürzt, sagen sie, findet aber unverzüglich den
Weg über die Ohren ins Gedärm, liegt etwas schwer im Magen und
zerrt elektrisch an der Seele. Da geht es um Politisches, Alltägliches,
Unverdautes oder auch mal völlig Sinnfreies. Wichtig ist für
sie, dass neben dem Alltagsgeschäft Entspannung und Spaß an erster
Stelle stehen. Das wiederum versuchen die Bremerhavener auf
die Bühne zu bringen und ihrem Publikum zu vermitteln. Eine aus eigener
Tasche finanzierte EP steht für dieses Jahr auf dem Plan, von
ihr erhoffen sie sich den einen oder anderen Haken mehr auf ihrem
Termin-Kalender. gbm
82 www.laufpass.com
Eigentlich
alles!
Der Name ist Programm
Als die Bremerhavener Formation 2011 das erste
Mal in ihrem Proberaum vor der Frage stand, wohin
der Weg gehen könnte, welchen Stil man favorisieren
sollte, laut oder leise, elektrisch oder ohne
Strom, beinhart oder butterweich, rettete Björn
Kühns (Gründer, Rhythmus-Gitarre, Gesang) Freundin
und erste Schlagzeugerin die schwierige Situation
mit zwei Worten: „Eigentlich alles!“ Das passt, sagten
sich die anderen, damit legen wir uns nicht auf
eine Richtung fest. Das ist wahrer Alternative Rock.
Die Schlagzeugerin der ersten Stunde wurde inzwischen
durch Sascha Krügel ersetzt, der Bass ist bei Daniel Busse
immer noch in fester Hand. Vor wenigen Wochen übernahm
Marvin SG die Solo-Gitarre von Tobias Fiedler, der
sich schon vor der Zeit des Foto-Shootings eines anderen
besonnen hatte. Eigentlich alles ist also wieder zu viert,
und somit ist das Foto kein Suchbild. Solch ein Wechsel
innerhalb einer Band muss kein Grund für Traurigkeit sein.
Im Gegenteil, ein neuer Mann kann durchaus spannende
Einflüsse liefern und sich mit kreativen Ideen einbringen.
Bei Bedarf ist das während des Schreibens und Erarbeitens
eigener Lieder mit Sicherheit eine gute Sache.
Björn, Lieferer der deutschen Texte, hatte zeitweise im
ausgeschiedenen Tobias einen konstruktiven Mann an seiner
Seite. Nun muss er sich darauf verlassen, dass die
verbliebenen Kollegen beim gemeinsamen Jammen genügend
Potential zur Untermalung seiner Worte finden. Dem
Komponieren opfern sie im Moment die meiste Zeit, zumal
Mitte des Jahres die ersten Aufnahmen zur Debüt-
CD in ihrem Kalender stehen. Dafür steht ihnen das Studio
des Rock Cyclus zur Verfügung. Die Kosten sind erschwinglich,
weil alle Mitglieder des Bremerhavener
Vereins sind. Zudem teilt man sich dieses kostbare Vergnügen
mit dem Griff in die private Tasche. Neues, vor allem
genügend Material zum Aussuchen, ist ihnen besonders
wichtig. Ebenso wichtig ist es ihnen, eine Einheit mit
dem neuen Mann an der Sechssaitigen zu werden, denn
demnächst soll endlich auch wieder live gerockt werden.
Nichts zum
Einschlafen
Tales of Grimm erzählt Metal-Märchen
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Fotos: dersoundso | GBM