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Deutschland – ein Religionsstaat?

Deutschland – ein Religionsstaat?
Symbolbild: Inked Pixels/shutterstock.com

Gehört der Islam zu Deutschland? Immer wieder wird über diese Frage debattiert. Dabei ist die Antwort klar: Nein. Dasselbe gilt für das Christentum, das Judentum sowie jede andere Religion. „Es besteht keine Staatskirche“, heißt es kurz und knapp in Art. 140 GG. Mit dem Gesetz aus dem Jahre 1919 hat die Regierung das Staatskirchen-System abgeschafft. Kirche und Staat sollten fortan voneinander getrennt werden. Doch bis heute sind beide Institutionen engmaschig miteinander verwoben. Noch immer genießen die christlichen Kirchen hierzulande zahlreiche Privilegien – finanziell und rechtlich. 

„In unserer Gesellschaft wird das verfassungsrechtlich gebotene Prinzip der Trennung von Staat und Kirche in vielfacher Hinsicht durchbrochen. Gerade den christlichen Kirchen wird gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften ein Vorrang eingeräumt“, kritisiert der Parteivorsitzende der Europäischen Linken Gregor Gysi auf Nachfrage des LAUFPASS. Wenn es um das Verhältnis von Staat und Kirche geht, fällt als eines der ersten Schlagwörter immer die Kirchensteuer. Alle Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, genießen in Deutschland das einzigartige Privileg, dass der Staat sich um die Eintreibung ihrer Mitgliedschaftsbeiträge kümmert. Rund 11,6 Milliarden erzielten die katholische und evangelische Kirche durch die Kirchensteuer allein im Jahr 2016 – ein neuer Rekordwert. Dieses Privileg der Kirchen ist vielen Bürgerinnen und Bürgern ein Dorn im Auge. Nach einer Umfrage des Instituts für neue soziale Antworten (INSA) sind 65 Prozent der Befragten für eine Abschaffung der Kirchensteuer. Sowohl bei den Konfessionslosen als auch bei den christlichen Teilnehmern bilden die Gegner der Kirchensteuer die Mehrheit.

Seit über 200 Jahren fließen Staatsleistungen an die Kirchen

Bei der Kirchensteuer weiß jeder, dass die Kirchen das Geld bekommen. Die weiteren Zahlungen an die Kirchen sind nicht so leicht durchschaubar – aber erheblich: zusätzlich zu den Steuern fließt jährlich insgesamt über eine halbe Milliarde aus allen Bundesländern – außer Hamburg und Bremen – als Staatsleistungen in die Kirchenkassen. Dadurch sollen noch immer Vermögensverluste der Kirchen aus längst vergangenen Zeiten ausgeglichen werden. Im Jahre 1803 hatte das Heilige Römische Reich die Kirchen im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses ihres Besitzes enteignet. Seither strömt Geld aus der Staats- in die Kirchenkasse – und es wird immer mehr. 1993 waren es noch umgerechnet 353 Millionen Euro, während 2017 mit 538 Millionen Euro ein neues Rekordniveau erreicht wurde. 

Allein von der Gründung der Bundesrepublik 1949 an sind Schätzungen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland zur Folge bislang 17,9 Milliarden Euro als Staatsleistungen an die Kirchen gezahlt worden. Und das, obwohl die Weimarer Verfassung bereits 1919 eine Ablösung der Staatsleistungen vorsah. „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf“, so der Wortlaut in Artikel 138 WRV Absatz 1. Das Gesetz enthält jedoch keine zeitliche Frist. Die Verabschiedung ist nun fast ein Jahrhundert her – und ein Ende der Staatsleistungen dennoch nicht in Sicht, obwohl die Kirche für Gespräche bereit ist. „Diese Haltung vertreten wir seit Jahren. Der Gesetzgeber muss dazu die Gespräche ergreifen“, erklärt Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz. Eine Abschaffung der Kirchensteuer lehnt Kopp hingegen ab, das Prinzip habe sich bewährt.

Fast jedes politische Lager gibt sich mit dem gegenwärtigen Zustand zufrieden. Nur die Linksfraktion plädiert seit längerem für eine Ablösung der Staatsleistungen. „Wir setzen uns für eine konsequente Durchsetzung der Religionsfreiheit ein. Das setzt aber eine klare Trennung von Staat und Kirche voraus. Und dazu gehört dann auch, die sogenannten Staatsleistungen für Enteignungen der Kirche durch den Staat nach 200 Jahren als überholt zu betrachten und abzulösen. Wir brauchen keinen sofortigen Ausstieg, aber ein Abkommen, das einen Weg dorthin festschreibt“, fordert Gysi.

Die Linksfraktion hat die Einsetzung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen beantragt, um den Umfang der Enteignungen und die bisher geleisteten Entschädigungszahlungen zu überprüfen. Am 9. März 2017 wurde über die Einsetzung dieser Kommission abgestimmt. CDU/CSU sowie die SPD stimmten gegen den Vorschlag, während sich die Grünen enthielten. Damit scheiterte nicht zum ersten Mal ein Antrag zu den Staatsleistungen. Bereits 2012 hatten die Linken ohne Erfolg einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen durch ein Bundesgesetz festlegen sollte. Im neuen Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD steht das Thema ebenfalls nicht auf der Agenda, weshalb in den nächsten vier Jahren wohl nicht mit einer Initiative zu rechnen ist.

Arbeit und Bildung in kirchlicher Hand

Die Kirchen sind nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber. Gerade in der Sozial-, Jugend-, und Pflegearbeit dominieren sie die Branche. Sie genießen das exklusive Privileg eines eigenen Arbeitsrechts. Die Arbeitnehmer sind damit nicht dem allgemein geltenden Recht unterworfen – und werden teilweise mit schärferen Regeln und Eingriffen ins Privatleben konfrontiert. Die bekannteste und umstrittenste Regel ist der Zölibat, die Verpflichtung zur Keuschheit. Aber auch andere Regelungen stoßen vermehrt auf Kritik: Erzieher können entlassen werden, wenn sie eine zweite Ehe eingehen. Dieses Recht sprach sogar das Bundesverfassungsgericht 2014 der Kirche zu. Ärzten kann gekündigt werden, weil sie beim Thema Verhütung und Schwangerschaftsabbruch eine andere Position vertreten als die Kirche. Lehrern kann die Lehrerlaubnis verweigert oder entzogen werden, wenn sie nicht nach den Grundsätzen der Kirche leben. Derartige Kündigungsgründe sind durch das eigene Arbeitsrecht legitim. Daran hat auch die Erneuerung des kirchlichen Arbeitsrechts 2015 nichts geändert.

Zudem besitzt die Kirche in der Bildung einen immensen Einfluss. Der Religionsunterricht gilt an öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen immer noch als ordentliches Lehrfach, ist als einziges Fach sogar im Grundgesetz verankert. Er zählt somit zum staatlichen Unterricht. Das wird besonders deutlich, wenn man einen Blick auf die Verfassung des Freistaates Bayern wirft. In Art. 131 Abs. 2 steht dort geschrieben: „Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt.“ Dementsprechend steht die Religion in den bayerischen Bildungszielen an erster Stelle. Auch im Land Bremen und in Niedersachsen bleibt der Religionsunterricht unangefochten eine feste Größe. Andere Fächer fallen hingegen immer häufiger Stundenkürzungen zum Opfer. Das betrifft vor allem den musisch-kulturellen Lernbereich. Konfessionslose Lehrkräfte dürfen keinen Religionsunterricht erteilen.

„Wenn wir es ernst meinen mit der konsequenten Trennung von Staat und Kirche, ist es angesichts der wachsenden religiösen Vielfalt in unserer Gesellschaft an der Zeit, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche beziehungsweise die Bevorzugung einiger Religionsgemeinschaften auf den Prüfstand zu stellen“, lautet Gysis Forderung an die Regierung. Ändern wird sich zunächst wohl nichts. Die große politische Mehrheit gibt sich mit dem Zustand zufrieden, das hat das Abschmettern des Antrags der Linken gezeigt. Von einer vollständigen Säkularisierung bleibt Deutschland damit auch im Jahr 2018 noch weit entfernt. (sl)

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