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Verfassungsbruch! Verstöße gegen den Tierschutz: Animal Rights Watch kritisiert die Regierung

Verfassungsbruch! Verstöße gegen den Tierschutz:  Animal Rights Watch kritisiert die Regierung
Foto: www.tierretter.de

Immer wieder dokumentieren Tierschutz-Aktivisten Missstände in der Tierhaltung und sammeln Beweise für tierquälerisches Verhalten der Massenhaltungsindustrie. Dazu ist es auch erforderlich, dass sie sich Zugang zu Stallungen und Mastanlagen verschaffen. Sie könnten sonst nicht die Belege für Verstöße gegen geltendes Recht sammeln. Ohne das Engagement der Tierschützer blieben viele Verstöße gegen das Tierschutzgesetz unentdeckt. Die Kontrollen der Behörden scheinen nicht umfangreich genug zu sein. Jetzt kündigte die neue Regierung im Koalitionsvertrag an, sie wolle „Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden“. Die Tierschutzorganisation Animal Rights Watch kritisiert dieses Vorgehen und fordert vom Staat die Achtung des Tierschutzgesetzes, das eigentlich jegliche Nutztierhaltung verbietet.

Jubel und Applaus ertönten Ende Februar im Oberlandesgericht Naumburg in Sachsen-Anhalt und vor dessen Toren. Zahlreiche Tierschützer hatten sich versammelt, um auf ein Urteil zu warten. Der Fall: Drei Tierschützer waren wegen Hausfriedensbruchs angeklagt worden. Sie waren 2013 in einen Stallbetrieb in Sandbeiendorf eingedrungen und hatten die Haltungsbedingungen anhand von Videoaufnahmen dokumentiert. Die Firma zeigte die beiden Männer und die Frau daraufhin an, zuerst vor dem Amtsgericht, dann vor dem Landesgericht. Beide Gerichte sprachen die Aktivisten frei und bewerteten die zur Schau getragenen Missstände als bedeutsamer als das Eindringen in die Stallanlagen. Nach der Revision der Staatsanwaltschaft ging es vor das Oberlandesgericht. Und auch dies sprach die Tierschützer frei.

Ein trauriger Tag für den Tierschutz

Während sich die Tierschützer jubelnd in den Armen lagen, rief das Urteil bei Landwirten vor allem Zorn hervor. Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e.V. schrieb in einer Pressemitteilung einen Tag nach dem Urteil, es sei „ein trauriger Tag für den Tierschutz und für alle rechtschaffenen Landwirte“ gewesen. Letzter Einwand wäre gerechtfertigt, wenn es sich wirklich um den Stallbetrieb eines rechtschaffenen und nicht um den eines massiv rechtverletzenden Landwirtes gehandelt hätte. Dann wäre das Urteil sicherlich anders ausgefallen. 

Das Tierschutzgesetz wird einfach nicht ernstgenommen

Jetzt grassiert bei den Landwirten die Angst vor weiteren Stalleinbrüchen – zumindest bei denen, die etwas zu verbergen haben und sich davor fürchten, öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter moniert, die Justiz solle es nicht zulassen, dass ein System neben dem deutschen Rechtssystem entsteht. Die zuständigen Behörden seien für die Kontrolle und Ahndung von Tierschutzvergehen verantwortlich. Ein wichtiger und richtiger Punkt. Aber die Behörden scheinen dieser Pflicht nicht nachzukommen, was nicht erst der Fall in Sandbeiendorf beweist. „Die Nutztierhaltung, wie sie heute praktiziert wird, ist nur dadurch möglich, dass das Tierschutzgesetz einfach nicht ernstgenommen wird, vom Gesetzgeber nicht, von den Kontrollbehörden nicht, von den Staatsanwaltschaften nicht“, kritisiert Sandra Franz, Pressesprecherin von Animal Rights Watch Deutschland (ARIWA). 

Das Bild zeigt die schlechte Haltung von Legehennen
Skandalöse Bodenhaltung: zwischen den Leichen ihrer Artgenossen (Foto: www.tierretter.de)

In der Tat genügt ein kurzer Blick ins Tierschutzgesetz, um den Umfang der Verstöße gegen geltendes Recht zu offenbaren. In Paragraph 1 heißt es: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Allein dieser Paragraph verbietet damit bereits das Töten und die nicht artgerechte Haltung von Tieren, weil es gegen ihre Interessen verstößt. Schmerzen, Leiden und Schäden würden, so Franz, bereits dadurch verursacht, dass Tiere zwangsgeschwängert, Mütter und Kinder getrennt, Schweine auf extremen Fleischansatz gezüchtet werden. Die Nutzung von Tieren für die Produktion von Fleisch und anderen tierischen Produkten könne nie ein vernünftiger Grund sein. 

Mehr Kontrollen

Auf der Grundlage des Tierschutzgesetzes kann Massentierhaltung nicht gesetzeskonform sein. Sie existiert dennoch – und wird zudem nicht ausreichend auf ihre Haltungsbedingungen kontrolliert. Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Gitta Connemann sieht hierzu Verbesserungspotenzial bei den Behörden und forderte gegenüber dem Magazin top agrar: „Wer die Kontrolle im Veterinärwesen für sich in Anspruch nimmt, muss auch entsprechende Mittel bereitstellen. Die Länder stehen in der Pflicht, die Veterinärämter vor Ort personell so auszustatten, dass sie ihrem Auftrag wirklich nachkommen können. Für eine entsprechende Kontrolldichte braucht es mehr Kontrolleure.“ 

Connemann macht die Schwachstellen am Personalwesen fest, für Animal Rights Watch ist diese Begründung nicht ausreichend. Sandra Franz sieht mehrere Ursachen: „Dass auch bei den Kontrollen durch Veterinärbehörden viel im Argen liegt, ist jedem klar, der sich etwas mit der Thematik beschäftigt. Das hat sehr unterschiedliche Gründe. Zum einen existiert eine kommunale Nähe zwischen Veterinäramt und Betreiber, welche die Veterinäre ungewollt befangen machen kann. Zum anderen verlieren Amtsveterinäre mitunter den Blick für eine objektive Einschätzung, da sie tagtäglich bei den gesetzlich legitimierten Quälereien tatenlos zusehen müssen. Dazu kommt eine hohe Arbeitsbelastung, da Veterinärämter systematisch und chronisch unterbesetzt sind. Zudem erwartet sie Gegenwehr der Betreiber, langwierige Rechtstreitigkeiten und Schadensersatzforderungen.“

„Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden.“

Bestrebungen, Kontrollen zu verschärfen, fehlen im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung gänzlich. Die Äußerungen zum Tierschutz bleiben in dem Papier oberflächlich und ungenau. Von Weiterentwicklung der Nutztierstrategie ist die Rede, von der Verbesserung des Tierwohls. Konkretes fehlt. Stattdessen sticht ein Satz besonders ins Auge, der gegensätzliche Ambitionen vermuten lässt: „Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden.“ Das formulierte Ziel, beim Tierschutz eine Spitzenposition einnehmen zu wollen, passt mit diesem Satz nicht zusammen. „In unseren Augen geht es bei den Plänen der Großen Koalition nicht darum, Strafbarkeitslücken zu schließen. Es geht darum, die Tierindustrie zufriedenzustellen und durch maximal mögliche Abschreckung das Aufdecken von Tierschutzverstößen zu verhindern“, erklärt Franz.

Es bleibt allerdings offen, inwiefern die Große Koalition das unerlaubte Eindringen in Tierställe gesondert behandeln will. Schließlich lautet der Tatbestand in diesen Fällen schlichtweg „Hausfriedensbruch“. Außerdem können die Gerichte weiterhin zwischen der Schwere des Einbruchs und der Schwere der aufgedeckten Missstände abwägen. Doch die Verfahren verlaufen selten so erfolgreich wie in Naumburg. „Die Erfahrung von Animal Rights Watch aus mehr als zehn Jahren zeigt, dass auch nach detaillierten Anzeigen mit belegendem Filmmaterial und der Nennung von Zeugen und Zeuginnen die Ermittlungen wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz fast immer eingestellt werden“, sagt die ARIWA-Pressesprecherin. Trotzdem gibt sie sich kämpferisch: „Solange diese Verdrängungsmentalität der Agrarbranche bleibt, wie sie ist, werden sich immer mehr Menschen von dieser tierfeindlichen Industrie abwenden, und so lange wird es auch immer Menschen geben, die diese Zustände aufdecken.“ 

Massentierhaltung
Die misshandelten Tiere leiden unter großen Tumoren und Entzündungen. (Foto: www.tierretter.de)

Das Engagement lohnt sich, denn die Aufnahmen dürfen der breiten Öffentlichkeit gezeigt werden. Das ergab ein Urteil des Bundesgerichtshofs im April. Der Betreiber eines Ökohühnerstalls, dem eine desaströse Tierhaltung filmisch nachgewiesen wurde, hatte gegen den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) geklagt, der die Filmmaterialien in einer Dokumentation verwendete. Die Begründung des Urteils zu Gunsten des MDR: das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist höher zu bewerten als die Rechte des Betreibers, der sich nicht an die Tierschutzrichtlinien hielt. (sl)

Weitere Informationen:
www.ariwa.org
www.dejure.org/gesetze/TierSchG 
www.cdu.de/koalitionsvertrag-2018 

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