beschleunigende Rolle spielen kann, soll untersucht
werden. Nebenbei: Das RKI hat eingeräumt,
dass alle SARS-CoV-2 positiv getesteten
Menschen, die versterben, in die COVID19
Todesstatistik aufgenommen werden
– unabhängig von der Todesursache. Zweitens
ist die Meldesystematik in der Welt nicht
einheitlich: In anderen Ländern verzichtet man
gleich ganz auf den Test und meldet ohne System
verstorbene Menschen als COVID19 Opfer.
Oder man verzichtet wie in Italien darauf
zwischen „mit“ und „an“ Corona gestorben, zu
unterscheiden. So betonte Angelo Borrelli, Leiter
Zivilschutz Italien, auf einer Pressekonferenz
am 21.3. explizit: „dass wir alle Verstorbenen
zählen, dass wir nicht unterscheiden
zwischen Corona-Infizierten, die gestorben
sind und denen, die wegen des Coronavirus
gestorben sind.“
Nicht nur bei SPIEGEL online finden sich zahlreiche
Beiträge, denen die nötige analytische
Kraft und sprachliche Genauigkeit fehlt. Das
Phänomen der scheinbar pandemischen Erblindung
der Autoren geht quer durch die
Presselandschaft. Und auch die Schweizer
Neue Zürcher Zeitung (NZZ), deren Wissenschaftsredaktion
bis dato viel Respekt genoss,
hat sich der allgemeinen Unschärfe hingegeben.
Stehen die ersten beiden der folgenden
Sätze noch in Übereinstimmung mit den vorhandenen
Informationen, bricht nun der dritte
Satz wie ein Fluch über uns herein: „Wie
verbreitet das Virus tatsächlich ist, lässt sich
anhand der bestätigten Fällen allerdings nur
schwer beurteilen. Jedes Land hat ein anderes
Test-Regime. Aussagekräftiger für einen
Ländervergleich ist deshalb die Zahl der Personen,
die an Covid19 verstorben sind.“ Wo
liegt hier das Problem? Das Problem liegt in
zwei Buchstaben: „an“. Denn auch hinsichtlich
der Todesursachendokumentation gibt es
keine vergleichbaren Zahlen in der Welt. Deshalb
kann auch in dem einen Land die Sterblichkeit
viel niedriger sein als in dem anderen.
In vielen Ländern werden Tote ohne positiven
SARS-CoV-2-Test als COVID19-Tote gemeldet
und auch in Deutschland ist ein SARS-CoV-2
positiver Mensch, der Opfer eines Verkehrsunfalls
wurde, ein COVID19-Opfer. Hier nicht die
fehlende Aussagekraft im Vergleich der Todesfallzahlen
zu erkennen, ist eine schwere Sorgfaltsverletzung.
Dabei weisen andere NZZ-Autoren, allerdings
sind es überwiegend die Gastkommentatoren,
durchaus auf die Probleme hin (Hato Schmeiser
am 24.04.): „Die Anzahl der Infizierten, die
Gefährlichkeit der Krankheit, die tatsächliche
Ausbreitung der Infektion in der Gesellschaft
und die Wirksamkeit von Massnahmen lassen
sich ohne regelmässige Zufallsstichproben
kaum bestimmen. Als Schätzungen, wie viele
Personen in der Bevölkerung tatsächlich infiziert
sind, werden kaum überprüfbare Spannbreiten
genannt, die häufig zwischen der zehn-
und über der zwanzigfachen Zahl der bestätigten
Infizierten liegen. Wenn man annimmt,
dass sich von der in der Schweiz bestätigten
Zahl der Infizierten (27 957 Personen am 22.
April 2020, 17 Uhr) auf knapp 500 000 tatsächlich
mit dem Virus befallene Personen schliessen
lässt und die 500 000 infizierten Personen
die durchschnittliche Mortalitätsrate der
Schweizer Bevölkerung aufweisen, versterben
aus dieser Gruppe rund 400 Personen pro Monat
– nicht wegen des Coronavirus, sondern
mit einer entsprechenden Infektion.
Dieser Aspekt deutet auf eine zweite Problematik
hin. Der kausale Zusammenhang zwischen
Covid-19 und Todesfall lässt sich nicht immer
leicht herstellen und ist wegen der in der Regel
vorliegenden Vorerkrankungen fliessend.
Es ist darum ohne weitere Analysen nicht möglich,
zwischen Todesfällen ‚mit einer Covid-
19-Erkrankung‘ und solchen ‚wegen einer Covid
19-Erkrankung‘ zu unterscheiden.“
So erscheint auch die NZZ als gespaltenes
Medium: einerseits verzichtet sie weitestgehend
selbst auf eine kritische Datenanalyse
und die Auswertung widersprechender Positionen,
andererseits lässt sie als Gäste zumindest
hin und wieder Vertreter alternativer Positionen
zu Wort kommen und bleibt so zumindest
in Teilen pluralistisch.
Hinsichtlich der tatsächlichen Verbreitung von
SARS-CoV-2 gibt es immer mehr Daten, die
vorliegen oder in der Prüfung sind. So hat einer
der renommiertesten Wissenschaftler der
Welt, Prof. John Ioannidis von der Standford
University, Daten gesammelt, die darauf hinweisen,
dass möglicherweise die Durchseuchung
der Bevölkerung mit SARS-CoV-2 um
ein Vielfaches höher ist, als es bislang angenommen
wird.
Prof. Dr. Kuhbandner von der Fakultät für Humanwissenschaften
der Universität Regensburg,
hat in einer bemerkenswerten Reihe
analytischer Zusammenfassungen die aktuellen
Zahlen und Trends bewertet. Er schreibt
am 03.05. im Internetportal des Heise-Verlags
„Telepolis“ im vierten Teil seiner Analyse:
„Eine der aktuellsten Studien stammt von John
Ioannidis, Gesundheitswissenschaftler an der
Standford University und einer der bekanntesten
Methodenexperten der medizinischen Forschung.
Basierend auf einem Coronavirus-Antikörpertest
an 3.300 Freiwilligen in Santa Clara
(Kalifornien) kommt seine Forschergruppe
zur Schätzung, dass zwischen 2,49 Prozent
und 4,16 Prozent der Bevölkerung dort in Wirklichkeit
infiziert waren - das ist um das 50- bis
85-fache der Zahl der dort laut den bisherigen
Testungen dokumentierten Fälle. Sollten diese
Zahlen stimmen, wäre die wahre Sterblichkeitsrate
in Santa Clara um das 50- bis 85-fache
kleiner als angesichts der bisher dokumentierten
Infektionen vermutet.
Die wahre Sterberate läge dann nur noch zwischen
0,12 Prozent und 0,2 Prozent, was in etwa
der Sterberate beim Grippevirus entsprechen
würde. Interessanterweise stimmt dies
relativ gut mit den Ergebnissen einer vergleichbaren
Studie im Landkreis Heinsberg überein,
welche von Prof. Hendrik Streeck vorab auf einer
Pressekonferenz veröffentlicht wurden.
Dort wurde die Sterberate bezogen auf die Gesamtzahl
der Infizierten auf ca. 0.37 Prozent
geschätzt. Wichtig ist aber anzumerken, dass
beide Studien noch nicht von Fachexperten begutachtet
sind und es im Vorfeld kritische Anmerkungen
gab, und dass offen ist, ob diese Ergebnisse
auch für andere Regionen gelten.
Allerdings kommen vergleichbare Befunde aus
Island, welches die Besonderheiten aufweist,
dass es das Land mit dem höchsten Verhältnis
der Anzahl der Tests in Relation zur Bevölkerungsanzahl
ist, und dass routinemäßig Personen
ohne Symptome getestet wurden. Dort
liegt die Sterblichkeitsrate aktuell bei 0.57 Prozent.
Und interessanterweise wurde das sogar
von Christian Drosten von der Charité Anfang
März noch so eingeschätzt. Auf einer
Pressekonferenz schätzte er damals die Sterblichkeitsrate
auf 0,3 bis 0,7 Prozent und ging
sogar davon aus, dass diese mit der weiteren
Verbreitung des Virus eher noch sinken würde.“
Journalistische Sorgfalt ist der Schlüssel für
die Aufbereitung der im Fluss befindlichen
Informationen. Das gilt umso mehr, als viele
Staaten ihren Bürgern die Ausübung ihrer
Grundrechte verbieten und die Gesellschaft an
den Rand des soziopsychologischen und wirtschaftlichen
Ruins bringen. Wenn es Momente
im Leben eines Journalisten gibt, in denen sie
oder er mit einer maximalen Distanz zu den eigenen
Vorurteilen und Ängsten auf ein Thema
schauen sollte, dann sicher in einer Lage wie
der aktuellen. Sie tun aber exakt das Gegenteil.
Die Parlamente sind ausgeschaltet, wir
werden von einer Notstandsregierung regiert,
massiven Einschränkungen unterworfen und
daran gehindert, uns als Souverän zu verhalten.
Hypothetisch gab es zwei Instanzen unserer
Demokratie, die in einer Phase von solch
epochaler Bedeutung, die Vorgänge im Blick
haben müssen: Die Presse und die Verfassungsgerichtsbarkeit.
Denn alle anderen Instanzen
sind ausgeschaltet.
Kritischer Journalismus ist eben nicht die unkritische
Verlautbarungstätigkeit einer PRAgentur
oder eines Pressesprechers. Kritischer
Journalismus hinterfragt die angebotenen
Informationen. Um wissenschaftliche
Informationen verstehen und interpretieren
zu können, ist es unumgänglich, über tiefe
Kenntnisse der jeweiligen Materie zu verfügen.
Der Deutsche Fachjournalistenverband
unterscheidet ganz klar zwischen Allround-
Journalisten und Fachjournalisten. Während
der Allround-Journalist nacherzählt, zusammenfasst
und kommentiert, ist es die Aufgabe
des Fachjournalisten, zu analysieren, zu
beschreiben, zu erklären, zu interpretieren,
zu beurteilen und zu bewerten. Darüber hin-
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