nagen ließ. Das sei unseriös – dabei nutzen alle
Staatsinstitute die Dienste von Agenturen,
um ihre Botschaften zu verbreiten) und persönlich
angegriffen. Streek hatte aber nichts
anderes getan, als eine transparent aufgebaute
Studie in einem stark von SARS-CoV-2 betroffenen
Gebiet durchzuführen. Dabei arbeitete
er stets nachvollziehbar und blieb keine
Antworten schuldig. Der Vorwurf, es sei unseriös,
Ergebnisse vorab zu veröffentlichen, war
ein Vorwand, um Prof. Streek zu diskreditieren.
Wer seine Heinsbergveröffentlichungen
liest, erkennt sehr schnell, wie fundiert und
sauber hier gearbeitet wurde. Die Studie ist
nun geprüft. Die Zwischenergebnisse wurden
bestätigt. In der Tat gibt es viel mehr Infizierte,
als von der Regierung angenommen.
Ganz anders reagierte die gleiche Presse
auf die Vorveröffentlichung von Prof. Christian
Drosten zur Frage, wie ansteckend Kinder
im Vergleich zu Erwachsenen seien. Als
es in Beratungen der Bundes- und Landesregierungen
gerade um die Frage der Öffnung
von Kitas und Schulen ging, veröffentlichte
Drosten die Vorabergebnisse seiner Arbeit,
ohne die Arbeit gegenprüfen zu lassen.
Er stellte fest, dass in den Rachenabstrichen
von Kindern die Konzentration von Virus-Partikeln
genauso hoch sei wie bei Erwachsenen.
Seine Schlussfolgerung war – was Epidemiologen
sehr deutlich verneinten – dass Kinder
damit ebenso ansteckend seien wie Erwachsene.
Schlimmer aber wog die kritische Tatsache,
dass Drosten in seiner „Studie“ einen
Anteil von 16 Grundschülern und 37 Kleinkindern,
bei insgesamt über 60.000 Personen
und 3.712 positiven Ergebnissen ausweist. Bei
solch einer kleinen Stichprobe ist die Aussagefähigkeit
der Studie sehr beschränkt. Niemand
beschwerte sich über Drostens Vorveröffentlichung,
wenige Stunden bevor die
Bundesregierung über die Öffnung der Grundschulen
entscheiden wollte. Und kaum einer
erhob die Stimme, um zu hinterfragen, ob diese
Stichprobe und die Art der Studie geeignet
sei, die Bewertungen von Drosten nachzuvollziehen.
Und interessanter noch, unterließen
es die Journalisten, all jene Studien einzubeziehen,
die auf Grundlage einer viel größeren
Datenbasis entstanden waren. Diese Studien
– unter anderem aus China – belegten das Gegenteil
dessen, was Drosten mit seiner kleinen
Stichprobe nachzuweisen glaubte oder nachweisen
wollte oder sollte. Auch die Reaktion
anderer Wissenschaftler und Kinderärzte wurden
in der Presse nicht erwähnt.
Der zweite bekannte Fall der Diskreditierung
ist der Umgang mit Dr. Wolfgang Wodarg. Anstatt
sich mit den Quellen und Aussagen von
Dr. Wodarg kritisch auseinanderzusetzen und
zu hinterfragen, auf welcher Grundlage Wodarg
seine Bewertungen abgegeben hat, setzen
die Medien alles daran, Wodarg als Person
zu diskreditieren. Die Art und Weise, wie Wodarg
hier in den Kontext von Spinnern und Verschwörungstheoretiker
gestellt wird, ist beeindruckend
– und im eigentlichen Sinne ekelhaft.
Unverhohlen unternehmen etliche Medien
und selbsternannte „Faktenchecker“ die Unterhöhlung
seiner Kompetenz und nutzen dabei
jene Werkzeuge und sprachlichen Muster,
wie wir sie aus den dunkelsten Kapiteln
unserer Vergangenheit kennen. Man beraubt
ihn (wie andere renommierte Wissenschaftler
auch) seiner Reputation. In Veröffentlichungen
des SPIEGEL wird er als „pensionierter Pneumologe“
(SPIEGEL ONLINE 20.03.20) bezeichnet.
Als würde sich da ein seniler Ex-Arzt zu
Wort melden. Wodarg hat die Facharztqualifikationen
für Lungen- und Bronchialkunde erworben,
ist Arzt für Hygiene und Umwelt-Medizin
und Arzt für Sozialmedizin. Er war 1991
Stipendiat für Epidemiologie und Gesundheitsökonomie
an der John Hopkins University, Baltimore/
USA (evaluation of health programs)
– einem der weltweit führenden Institute für
epidemiologische Fragen, lehrt noch immer an
der Universität Flensburg und der Alice-Salomon
Hochschule in Berlin. Er lehrte zuvor an
der Charité und anderen Hochschulen Europas,
seine Themen waren und sind Forschung
und Ethik, Gesundheitswesen und soziologischen
Fragen aus dem Gesundheitswesen und
andere mehr. In vielen weiteren Bereichen seiner
Arbeit als SPD-Abgeordneter, als Mitglied
der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
sowie vielen anderen Fachgremien
bewies er in jahrzehntelanger Arbeit seine
Kompetenz, seinen ausgewogenen Blick, seine
ethische Position und seine ruhige und vermittelnde
Haltung in politischen und Gesundheitsfragen.
Wer sich mit Wodarg befasst, wird
feststellen, dass er bereits in der Vergangenheit
bei anderen vermeintlich tödlichen Bedrohungen
durch Pandemien die verfügbaren wissenschaftlichen
Daten richtig interpretierte.
JOURNALISTISCHE METHODEN
AUS DUNKELSTEN ZEITEN
Aufgabe der Journalisten wäre es, die Antithesen
der Kritiker gründlich und sachlich zu prüfen.
Dazu müssten sie die Datenquellen untersuchen
und die wissenschaftlichen Interpretationen
der Fakten nachvollziehen, sie müssten
andere unabhängige Wissenschaftler befragen,
um herauszufinden, inwieweit Dr. Wodargs
Annahmen und Analysen zutreffend sind
oder nicht. Interessanterweise ersparen sich
die meisten Kollegen diese Mühe und greifen
zu einem anderen Stilmittel. Statt der inhaltlichen
Analyse stellen sie Wodarg und andere
Wissenschaftler einfach in den Kontext von
verwirrten Menschen: „Wodarg argumentiert
geschickt. Viele seiner grundsätzlichen Aussagen
sind korrekt. Damit schafft er Vertrauen,
selbst bei Leuten, die sich mit medizinischen
Sachverhalten auskennen. Seine Schlussfolgerungen
wirken schlüssig, bleibt man in seiner
Logik. Dass seine Videos mit Vorsicht zu genießen
sind, erkennt man bei genauem Hinsehen
aber allein schon an den YouTube-Kanälen, in
denen sie erschienen sind. Der eine verbreitet
neben Wodargs Thesen Verschwörungstheorien
aus dem Reichsbürgermilieu, es geht um
Chemtrails und Satan.“
Was ist hier gelungen? Statt auf die inhaltliche
Argumentation von Dr. Wodarg einzugehen,
konstruiert die SPIEGEL online Autorin
Julia Merlot eine Nähe zu Verschwörungstheoretikern
aus dem Reichsbürgermillieu. „Nun
erklärt der Mann in zwei Videos auf YouTube“
– Merlots Sprache ist entlarvend. Ihre inhaltlichen
Einwände strotzen vor fachlicher Schwäche
und fehlender Quellenarbeit. „Der Mann“,
den sie hier despektierlich verkleinert, erklärt
nicht nur in Videos, was er denkt. Er liefert
zu seinen Aussagen auf seiner Webseite
www.wodarg.com auch Hintergründe und Verweise
auf Daten, Studien und ungelöste Fragen
der aktuellen Corona-Bewertungen. Nicht
anders als Julia Merlot verfährt der 1973 geborene
Kognitionspsychologe Christian Stöcker
von SPIEGEL online. Er verzichtet ebenso
wie seine Kollegin auf ein vertieftes Quellenstudium
und versteigt sich dazu, am 22.03
zu schreiben: „Der unglücklicherweise öffentlichkeitswirksamste
Vertreter der „hier gibt es
nichts zu sehen, gehen Sie bitte weiter“-Position
ist der pensionierte Pneumologe Wolfgang
Wodarg. Seine verantwortungslosen Einlassungen
scheinen derzeit leider ein großes
Publikum zu finden. Es ist das zweite Mal innerhalb
kurzer Zeit, dass ein einzelner Lungenfacharzt
den globalen wissenschaftlichen Konsens
nonchalant infrage stellt. Dabei verbreitet
Wodarg nachweislich Unsinn: Covid-19 ist aus
einer Reihe von Gründen sowohl ansteckender
als auch tödlicher als eine normale Grippeepidemie.“
Auch hier wieder das gleiche Muster der auf
Diskriminierung abzielenden Rhetorik: Stöckers
Aussagen sind „der pensionierte Pneumologe“,
„ein einzelner Lungenfacharzt“,
„nachweislich Unsinn“. Zum einen führt eine
Pensionierung eines Mediziners, eines Facharbeiters
oder Angehörigen eines anderen Berufes
nicht gleich zu seiner Verblödung – diese
Wortwahl ist dumm, diskriminierend, unsachlich
und unverschämt. Zum anderen ist
Wodarg weiterhin als Experte und Lehrender
tätig. „Einzeln“ ist Wodarg schon überhaupt
nicht in der Wissenschaftswelt. Hätten Stöcker
und andere Autoren den Blick einmal
über den Tellerrand von Drosten und RKI angehoben,
wären sie auf zahlreiche Ärzte und
Wissenschaftler gestoßen, die ähnliche Analysen
anboten und diese auch belegen können.
Die schwerste Behauptung ist indes die vom
„nachweislichen Unsinn“. Erstens bleibt Stöcker
den Nachweis des Unsinns schuldig. Seine
Behauptungen zur Verbreitung und Tödlichkeit
des Virus‘ waren bereits am 22.03. durch
die Zahlen des RKI und anderer nationaler und
internationaler Quellen widerlegt. Man hätte
sie nur lesen müssen.
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