Gesinnungsschule?
Dürfen Lehrkräfte politisch sein?
Seit Ende Mai gibt es in Bremen ein Online-Meldeportal, auf dem aufgebrachte Eltern ungehemmt Lehrer denunzieren können, falls diese
sich ihrer Meinung nach den Kindern gegenüber kritisch über die AfD äußern. Die rechten Ideologen glauben, dass Schulen und somit
auch die Lehrkräfte einem Neutralitätsgebot unterliegen. Insofern sei der digitale Pranger für nicht rechtsradikale Lehrer legitim. Die
Grundsatzfrage lautet: Dürfen Lehrerinnen und Lehrer ihre politische Haltung zeigen? „Das Politische spielt immer eine Rolle“, schreibt Pädagoge
Stefan Breuer vom Institut für Politikwissenschaft der TU Dresden auf www.deutsches-schulportal.de. „Dies herauszustellen und
für reflektierte Urteile zugänglich zu machen, ist ein Hauptanliegen politischer Bildung. Unpolitische Lehrerinnen und Lehrer wären dazu
aber gar nicht in der Lage.“
Seit letztem Jahr haben verschiedene Landesverbände
der AfD Denunziantenportale eingerichtet.
In Hamburg und Berlin sind sie schon
länger in Betrieb und auch eine Bremer Variante
ging vor einigen Wochen an den Start. Eines
der Ziele des „Meldeportals Neutrale Schule“
sei es, „die linke Indoktrination an unseren
Schulen zu beenden und so das Neutralitätsgebot
landesweit zu stärken“, schreiben der Fraktionsvorsitzende
Oliver Kirchner und der Sprecher
für Bildung, Kultur und Wissenschaft, Dr.
Hans-Thomas Tillschneider, auf der Homepage
der AfD Fraktion Sachsen-Anhalt.
Die Politik zeigte sich von der Idee wenig begeistert,
nicht zuletzt, da die Methode der Denunziation
Erinnerungen an die NS-Zeit weckt:
„Organisierte Denunziation ist ein Mittel von
Diktaturen“, sagte Bundesjustizministerin Katarina
Barley der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
„Wer so etwas als Partei einsetzt, um
missliebige Lehrer zu enttarnen und an den
Pranger zu stellen, gibt viel über sein eigenes
Demokratieverständnis preis.“ Für Breuer „offenbart
der Rückzug auf ein Neutralitätsgebot
lediglich den Versuch, die eigene Politik gegen
eine kritische Analyse zu immunisieren.
Aber eine ebensolche sollte unbedingt Gegenstand
politischer Bildung sein“, erklärt er und
fügt hinzu, dass „die Frage nach einem angemessenen
Verhalten von Lehrerinnen und Lehrern
hinsichtlich ihrer politischen Einstellungen
und Äußerungen, die sie gegenüber Schülerinnen
und Schülern kommunizieren, nicht nur auf
parteibezogene Politik verkürzen lässt.“ Derselben
Meinung ist auch Christian Gloede von
der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
Bremen (GEW). Im Gespräch mit buten un binnen
am 20.05.2019 sagte er, dass „in Schulen
durchaus kritisch über die AfD diskutiert werden
dürfe. Das sei Teil des demokratischen Diskurses.“
Des Weiteren ruft die GEW Eltern und
Schüler dazu auf, das Meldeportal nicht zu nutzen,
um Denunziation nicht Tür und Tor zu öffnen.
Beutelsbacher Konsens
In den Forderungen der AfD nach Neutralität
der Lehrkraft spielt der Beutelsbacher Konsens
eine wichtige Rolle. Er ist das Ergebnis einer Tagung
der Landeszentrale für politische Bildung
Baden-Württemberg im Jahr 1976 und legt drei
Grundsätze für die politische Bildung fest: Das
Überwältigungsverbot, die Kontroversität und
die Schülerorientierung. Das Überwältigungsverbot
sieht vor, dass der Lehrer den Kindern
und Jugendlichen nicht die eigene Meinung aufzwängen
darf. Schülerinnen und Schüler sollen
nicht einseitig beeinflusst werden. Das heißt
aber nicht, dass Lehrer zu allen Themen eine
neutrale Haltung haben müssen. Vielmehr sollen
sie, wenn sie ihre Meinung kommunizieren,
diese auch immer deutlich als die eigene kenntlich
machen und zur Diskussion stellen können.
Das hilft den Schülern, den Prozess der Meinungsbildung
zu verstehen und nachzuvollziehen.
Kontroversität heißt, was in Politik und
Wissenschaft kontrovers diskutiert wird, soll
auch im Unterricht kontrovers behandelt werden.
Wenn ein Politiker oder eine Partei also
verfassungswidrige Aussagen trifft, sollte auch
das zum Thema gemacht werden.
Der Unterricht soll dem Schüler zur Orientierung
im politischen Leben verhelfen, er soll lernen,
politische Positionen zu analysieren und
sich eine eigene Meinung zu bilden, um ein
mündiger Bürger zu werden. „Um dem gerecht
zu werden, müssen in der Schule pluralistische
und menschenrechtsorientierte Haltungen und
Werte vermittelt werden. Damit dies gelingen
kann, braucht es Lehrerinnen und Lehrer, die
für Schülerinnen und Schüler als eine Art demokratische
„Role Models“ fungieren. Dazu
gehört dann eben auch, eine entsprechende
Haltung zu zeigen, wenn demokratische Werte
infrage gestellt werden, beispielsweise durch
rassistische oder menschenfeindliche Äußerungen“,
erklärt Breuer. Dies wird auch im Bremi-
12 www.laufpass.com
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