Der Aufklärer in Einzelhaft
Reiner Fuellmichs Situation ruft Menschenrechtler auf den Plan
Der Fall des Bürgerrechtlers Reiner Fuellmich in der JVA Rosdorf ruft Menschenrechtler weltweit auf den Plan. Seine seit Monaten andauernde Isolation steht immer mehr in den Fokus der Kritik. „Isolationshaft ist Folter“, sagen die internationalen Folterkonventionen. Die JVA Rosdorf ist offenbar kein Einzelfall. Der BRD-Strafvollzug scheint ein generelles Misshandlungsproblem zu haben. Die Gewalt gegen Gefangene hat viele Gesichter. In ersten Fällen laufen bereits Ermittlungen gegen die Anstalten.
Hinter den Mauern der Gefängnisse haben Anstaltsleitung und Wärter die vollständige Macht über die Gefangenen. Eine Kontrolle ist kaum möglich, die Rechte und Möglichkeiten der Insassen sind beschränkt. Die Gewährung von Menschenrechten hängt von der Gnade des Systems ab. Unmittelbare Gewalt und weiße Folter in Gestalt von Einzelhaft sind offenbar keine Ausnahme in der BRD. Das zeigen Untersuchungen von Menschenrechtlern und aktuelle Berichte aus ganz Deutschland. Ist der Foltervorwurf gegen den Deutschen Justizvollzug berechtigt?
Erniedrigende Behandlungen, Gewalt gegen Gefangene und insbesondere die Einzelhaft gelten unter Menschenrechtlern unstrittig als Folter. „Internationale Menschenrechtsorgane, insbesondere diejenigen, die an der Bekämpfung von Folter beteiligt sind, setzen Einzelhaft ganz oben auf ihre Liste der Prioritäten. Dies ist auf die schwerwiegenden und relevanten Auswirkungen zurückzuführen, die Einzelhaft auf die geistige und körperliche Gesundheit isolierter Insass*innen haben kann.“ (Zitat aus: Präventive Menschenrechtskontrolle von Einzelhaft in Gefängnissen – Ein Handbuch für Nationale Präventionsmechanismen).
Dr. Reiner Fuellmich sitzt in der JVA Rosdorf seit Monaten in Einzelhaft. Die JVA Rosdorf behauptet, seine Teilnahme an gemeinschaftlichen Aktivitäten sei nur „eingeschränkt“. Diese Behauptung ist falsch. Der „gemeinschaftliche Aufenthalt“ ist für Fuellmich nicht etwa nur „eingeschränkt“ worden, wie die JVA behauptet, sondern „ausgeschlossen“ i.S.d. § 141 Abs, 3 NJVollzG. Denn die JVA lässt dem Untersuchungshäftling nur eine Stunde Kontaktmöglichkeit zu einem Hausarbeiter der Station – nicht aber zur Gemeinschaft. Die hypothetische Kontaktmöglichkeit zu einem Hausarbeiter ersetzt aber nicht das notwendige Leben in der Gemeinschaft.
Dr. Reiner Fuellmich ist ein lästiger Störenfried.
Die Begründung der JVA für die monatelang andauernde Folter durch Isolation ist durchsichtig. Nach Auskunft der Anwältin von Reiner Fuellmich, Katja Wörmer, sei als Grund genannt worden, dass Reiner Fuellmich vorgeblich mehrfach Mitgefangene aufgewiegelt und verbotene Rechtsberatung betrieben habe. „Damit habe er die Ordnung der Anstalt erheblich gestört.“ Wie diese Störung konkret aussah, wird nicht weiter beschrieben. Es bleibt eine unbelegte Schutzbehauptung.
Übersetzt heißt das für den Beobachter: Indem Reiner Fuellmich seinen Mitgefangenen Informationen zur Verfügung stellt, mit denen sie ihre ihnen zustehenden Rechte während des Freiheitsentzuges geltend machen können, „wiegelt“ er andere gegen die Anstaltsleitung auf.
Gefangene wie Reiner Füllmich sind den Freiheitsentzugsanstalten immer ein Dorn im Auge – „a pain in the as“, wie man in Fuellmichs zweiter Ex-Heimat Californien sagen würde. Ein juristisch versierter Bürgerrechtler wie Fuelllmich, der sich nicht einschüchtern lässt, ist immer ein Störenfried in einem ungerechten Umfeld – sei es in Freiheit oder Gefangenschaft. Man stelle sich vor: Plötzlich wissen die Mitgefangenen mehr über ihre Rechte und fordern selbige ein!? Wo kommen wir denn da hin? Sie stellen sich vielleicht noch gegen unrechtmäßige Anordnungen der Anstaltsleitung? Das wäre ja ein Skandal.
Die seit Februar 2024 amtierende Chefin der JVA Rosdorf, Dr. Susanne Jacob, ist Psychologin. Sie wird daher wissen müssen, welche Folgen ihre Anordnung der Isolationshaft bei den Gefangenen haben kann. Und sie sollte als Anstaltsleiterin mit langjähriger Erfahrung die internationalen Folterdefinitionen für den Strafvollzug kennen. Daher wird sie auch wissen, dass ihr Verhalten im krassen Widerspruch zu allen Antifolterkonventionen der UN, der EU und der großen Menschenrechtsorganisationen steht. In ihrer Rede zur Amtseinführung von Dr. Susanne Jacob betonte die Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann (SPD) die Qualitäten der neuen Anstaltschefin: „Sie, Frau Dr. Jacob, haben stets gezeigt, dass Sie sich nicht scheuen, neue Aufgaben zu übernehmen und in ganz unterschiedlichen Bereichen des Vollzugs ihre kreativen Ideen einzubringen.“ So kann man das auch sagen.
Justizvollzugsanstalten: Geschlossene Welten ohne Kontrolle der Menschenrechte?
In der geschlossenen Anstaltswelt können die Verantwortlichen hinter den hohen Mauern fast unbehelligt schalten und walten, wie es ihnen gefällt. Kontrollmöglichkeiten gibt es kaum. Und Spannungen gibt es zur Genüge. In der Tat birgt der Knastalltag auch für die Beschäftigten wenig freudvolle Momente. Ein Knast ist eben kein besonders schöner Ort. Es ist ein Ort des Konfliktes, der Gewalt, der Trauer. Die heutigen Gefängnisse sind vor allem Strafanstalten – längst noch keine Orte der Resozialisierung. Es sind Orte der verschenkten Gelegenheiten. Aus diesen Anstalten kommen die wenigsten als bessere Menschen wieder heraus.
Einigkeit besteht dennoch darin, dass das Gefängnis bereits der Ort der gerichtlich verhängten Strafe ist. Es ist aber nicht der Ort, wo eine weitere Strafe (z.B. in Form der Isolationshaft oder Erniedrigung oder anderen Formen der Misshandlungen) verhängt werden darf. Nur unter sehr engen Bedingungen darf eine – dann auch nur kurzfristige – Isolation überhaupt erfolgen.
Die Gefängniswirklichkeit in der BRD ist geprägt von einer fundmentalen Fehlinterpretation der Freiheitsstrafe. § 46 (1) Strafgesetzbuch sagt: „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.“ Die Freiheitsstrafe, die der „Staat“ verhängt, soll eine Tat sühnen. Der Freiheitsentzug – also der Entzug von selbstbestimmter unwiederbringlicher Lebenszeit als partielle Tötung am lebenden Menschen – ist die eigentliche Strafe. Schlimm genug. Aber nirgends ist davon die Rede, dass während der Strafe die Verurteilten (oder Untersuchungshäftlinge, deren Schuld – noch – nicht festgestellt wurde) ihre Grund- und Menschenrechte verlieren sollen oder durch Isolation gequält werden dürften.
Hinter den Mauern ist wenig Raum für Freiheit – aber viel Platz für Willkür
In der Vollzugswirklichkeit herrscht immer auch Willkür. Im Knast werden den Gefangenen nicht selten die Menschenrechte verwehrt. Als hätten sie mit der Verurteilung zur Freiheitsstrafe gleich noch ihre unveräußerlichen Menschenrechte verwirkt.
„Formal gesehen haben die Gefangenen im Prinzip die gleichen Rechte wie die freien Bürger. Durch das Strafvollzugsgesetz werden lediglich die Grundrechte aus Art. 2 II 1 und 2 GG, also die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit der Person und aus Art. 10 GG das Briefgeheimnis eingeschränkt. Alle übrigen Grundrechte bleiben – jedenfalls formal – unangetastet.“ (aus: Jens Puschke (Hrsg.), Strafvollzug in Deutschland. Strukturelle Defizite, Reformbedarf und Alternativen, S. 97-104). Die Anordnung einer langen Isolation stellt unmittelbar eine Grundrechtsverletzung dar, da sie eine massive Schädigung impliziert und den Häftling wesentliche Menschenrechte entzieht sowie die verhängte Strafe erweitert, beziehungsweise vertieft.
„Die nicht disziplinarische Einzelhaft umfasst eine Vielzahl von Praktiken, die weltweit zur Verwaltung von Gefängnisinsassen eingesetzt werden. Diese Praktiken, wie auch ihre disziplinarischen Äquivalente, fügen den Gefangenen schwere und unnötige Schäden zu und verstoßen gegen die UN-Antifolterkonvention.“ Das schreibt Samuel Fuller von der Universitiy of Chicago.
„Gemäß Artikel 1 des Übereinkommens gegen Folter betrachtet die UNO disziplinarische Einzelhaft als Folter. Langfristige disziplinarische Einzelhaft ist eine Praxis, die der UNO besondere Sorge bereitet. Disziplinarische Einzelhaft von weniger als fünfzehn Tagen, die vom Sonderberichterstatter empfohlene Obergrenze, ist an sich schon problematisch und kann Folter darstellen.“ heißt es weiter.
„Die 2015 aktualisierten Mandela-Regeln sind eine überarbeitete Mindestnorm der UN-Regeln, die Einzelhaft als „die Inhaftierung von Gefangenen für 22 Stunden oder mehr pro Tag ohne sinnvollen menschlichen Kontakt“ definiert. Einzelhaft darf nur in Ausnahmefällen verhängt werden, und „verlängerte“ Einzelhaft von mehr als 15 aufeinanderfolgenden Tagen wird als eine Form der Folter angesehen.“ schrieb Nils Melzer, ehemaliger Folterbeauftragter der UN.
Reiner Fuellmich lebt seit Monaten in Isolationshaft, nicht weil er etwa eine Gefahr für sich oder andere darstellt – sondern weil er der JVA auf die Nerven geht, indem er seine Mitgefangenen über ihre Rechte aufklärt. Das tut aber nun mal ein Bürgerrechtler, der auch in Gefangenen Bürger, Menschen mit unveräußerlichen Rechten sieht.
„Extrem schädigende Auswirkungen“
„Das CPT betont, dass Einzelhaft eine „extrem schädigende Auswirkung auf die geistige, körperliche und soziale Gesundheit der Betroffenen haben kann“. Der bedeutendste Indikator sei eine „erheblich höhere Suizidrate“ im Vergleich zu anderen Gefangenen. Dies werfe eindeutig Fragen in Bezug auf das Verbot von Folter und unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Strafe auf. Außerdem könne Einzelhaft eine „Gelegenheit für gezielte Misshandlungen von Gefangenen schaffen, weit weg von der Aufmerksamkeit anderer Inhaftierter oder Justizvollzugsbeamter“.“ Quelle: ARD: „Einzelhaft in Deutschland – wie lebendig begraben.“
Die Fälle von Folter und Misshandlung in BRD-Gefängnissen häufen sich. Wir sehen derzeit die Spitze des Eisberges. Die Berichte der letzten Zeit zeigen die katastrophale Situation: Es werden renitente Häftlinge halb zu Tode geprügelt, gequält, unter unwürdigen Bedingungen in Verliesen eingesperrt, es werden Gesundheitsbehandlungen verweigert, Misshandlungen durch Mitgefangene geduldet oder es werden juristisch gebildete „Störenfriede“ isoliert, wenn sie der Anstalt Mehrarbeit verursachen oder gar rechtswidriges Verhalten der Verantwortlichen aufzeigen könnten.
Der Foltervorwurf gegen die JVA Rosdorf ist nach internationalen Standards, der Antifolterkonvention der UNO und der Europäischen Menschenrechtskommission (Artikel 3) statthaft. Es sollte unmittelbar zu einer Untersuchung der dort herrschenden Verhältnisse und Entscheidungsgrundlagen führen. Dies wäre eine Aufgabe für das CPT (Das CPT ist ein Komitee, das Hafteinrichtungen besucht, um zu prüfen, wie Menschen behandelt werden, denen die Freiheit entzogen ist. Beispiele für solche Einrichtungen sind Gefängnisse, Jugendhaftanstalten, Polizeireviere, Abschiebehafteinrichtungen und psychiatrische Kliniken), schlussendlich aber auch für jede Staatsanwaltschaft in den betroffenen Regionen. Denn beim Verdacht der Folter handelt es sich um ein Offizialdelikt, bei dem die Staatsanwaltschaft von sich aus tätig werden müsste.
Gibt es Einzelhaft als Folter in Deutschen Gefängnissen? Ein Audiobeitrag der ARD über die Gefängniswirklichkeit in BRD-JVAs:
BR24 über Misshandlungsvorwürfe gegen JVA Gablingen
(1) At the International Symposium on Solitary Confinement, researchers and formerly incarcerated people made it clear that isolation causes severe and permanent damage. https://www.prisonpolicy.org/blog/2020/12/08/solitary_symposium/
(2) Straftheorien: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/kriminalitaet-und-strafrecht-306/268220/vom-sinn-und-zweck-des-strafens/
(3) Menschenrechte im Strafvollzug: https://www.humanistische-union.de/thema/schutz-der-buerger-und-menschenrechte-im-strafvollzug-1/#:~:text=Formal%20gesehen%20haben%20die%20Gefangenen,10%20GG%20das%20Briefgeheimnis%20eingeschränkt.
(4) In einer Email vom 18.11.2024 haben der Verein “Défendons notre souveraineté citoyenne” und die Gewerkschaft “ADETRA” Alice Jill Edwards, die UN-Sonderberichterstatterin zu Folter und Mitglieder der Weltorganisation gegen Folter (OMCT), über die Mißhandlungen des politischen Gefangenen, Dr. Reiner Füllmich, informiert. https://qfm.network/prozess-gegen-reiner-fuellmich-verein-und-gewerkschaft-aus-genf-alarmieren-un-sonderberichterstatterin-zu-folter/