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Mitten durchs Herz – das Corona-Schisma

Mitten durchs Herz – das Corona-Schisma

von Diplom-Psychologin Susanne Begerow

„Ich will nicht missioniert werden!“ So wurde ich kürzlich von einer Freundin zurechtgewiesen. Ein ungewohnt barscher Ton von ihr. Wir kennen uns schon recht lange, haben viele Gemeinsamkeiten und schätzen uns gegenseitig sehr. Was war passiert?

Ich hatte, im Überschwang meines Entsetzens, ihr eine Grafik zur aktuellen Sterblichkeit in Deutschland zugesandt, aus der sich meines Erachtens massive Zweifel an den Darstellungen der Leitmedien zu selbigem Thema im Corona-Kontext ergeben mussten. Statt einer kontroversen inhaltlichen Diskussion oder einem erstaunten „Oh, wie interessant!“ oder ähnliches, kam mir geballte Emotion in Form von Angst um die Gesundheit der Familie und Eltern entgegen, die in sich hermetisch war und keine Fragen, Zweifel, einstellungskonträre Informationen durchdringen ließ. Wir begaben uns beiderseitig leicht verstimmt auf unvermintes Gebiet und sprachen über Kochrezepte, geeint wohl nur von dem leisen Zweifel an der geistigen Unversehrtheit des jeweils anderen.

Szenenwechsel: Ein Telefonat mit einem gestandenen Handwerker, Mitte 60, ein energiegeladener, lebenserfahrener „Macher“-Typ, dessen kraftvolle Stimme plötzlich sehr belegt wurde, als wir auf Familie zu sprechen kamen: „Zwei meiner drei Kinder sprechen nicht mehr mit mir.“ Er war, wie sich herausstellte, seit seiner Teilnahme an einer Demonstration als Vater nicht mehr erwünscht. Ein tiefer Bruch in einer bis dahin intakten Familie, mitten durchs Herz.

Drittes und letztes Beispiel: Ein Ehepaar aus meiner Nachbarschaft, eigentlich ein eingespieltes Dream-Team mit langem gemeinsamen Weg, kampferprobt und fest verbunden in Freud und Leid – bisher. Doch seit einigen Monaten glaubt sie an Querdenken, er glaubt den Leitmedien. Seit Monaten ringen sie um Verständigung und ihre alte Normalität, mit schwindendem Erfolg. Sie vertraute mir an, dass sie an Scheidung denke.

Sicherlich kennen Sie ähnliche Beispiele: Risse, die durch lange gute Freundschaften gehen, durch kollegiale Verhältnisse, durch Beziehungen, sogar die engsten die wir haben, zwischen Partnern, Eltern, Kindern, Geschwistern. Gräben, die sich auftun und für die wir keine Brücken finden. In ihnen verschwinden Verständigung, Empathie, Vertrauen und auch das, was Psychologen Bindungssicherheit nennen- das Empfinden, mit jemandem unverbrüchlich tief verbunden zu sein in guten wie in schlechten Tagen, ein Stück Urvertrauen.

Ohne Übertreibung können wir inzwischen von einer gespaltenen Gesellschaft sprechen.

Doch wer von uns will das?? 

Ich denke niemand.

Was geschieht hier mit uns?

Lassen Sie uns nach historischen Erfahrungen mit Momenten der Spaltung suchen. Mir drängt sich hier der Vergleich mit den Schismen der Kirche auf, derer es viele gab, meist auch von schrecklichen Exzessen begleitet: Die frühen Gnostiker, Gegenpäpste mit unterschiedlichen Auffassungen und schließlich die Reformation – alle Gruppierungen wollten nach den eigenen Erkenntnissen leben und selig werden. Und hätten es alle beim Leben und Lebenlassen belassen, so wäre die Spur von Feuer und Blut in der Kirchengeschichte sicher geringer ausgefallen. Doch immer wieder ging es darum, einen Sieg im Kampf gegen den Andersdenkenden zu erringen, ihn zu bekehren oder andernfalls zu vernichten.

Was sehen wir heute? Vernichtung des Andersdenkenden auf digitalen Scheiterhaufen, wirtschaftliche Vernichtung von Existenzen, öffentliche Brandreden mit vernichtenden Schmähungen, Zeitungsberichte, in denen Demonstranten, Forscher, Intellektuelle beleidigt und diskreditiert oder aus Gemeinschaften ausgeschlossen und totgeschwiegen werden. Wollen wir wieder so miteinander umgehen?!

Und woher kommt diese wachsende Gewaltbereitschaft in Worten und in Taten?

Ich denke, auch dort existiert eine Parallele zu den historischen Vorgängen: Wie es damals um das ewige Leben ging, das unter Umständen auf dem Spiel stand , geht es heute um das ganz reale  irdische Leben, dessen Bedrohung uns dargestellt wird in Bildern, die als moderne Varianten von Hieronymus Boschs Szenarien geballt auf uns nieder gehen. Wird mein Leben oder das meiner Familie bedroht, muss ich da nicht zum Schwert greifen? Muss die Gefahr, die der Andersdenkende verkörpert, nicht schnellstmöglich eliminiert werden, gegebenenfalls auch mit Wasserwerfern und Schlagstöcken?

Oder von der anderen Seite betrachtet: Werden meine Freiheit im Denken und Handeln,  meine Existenz, meine gesundheitliche Selbstbestimmung in Leben und Sterben bedroht, muss ich da nicht zum heiligen Krieg rufen?

Das sind momentan die Fronten: „Sicherheit und Gesundheit“ skandiert die eine Seite, „Freiheit, Aufklärung und Selbstbestimmtheit“ die andere… was ja überhaupt nicht schlimm wäre, wenn es nicht um einen Endsieg, sondern einen fairen, kontroversen Diskurs mit Bereitschaft zu gemeinsamen Lösungen ginge!

Das Schisma durchzieht inzwischen Wissenschaft, Medien, Kunst und Kultur: Erwünschte Gedanken und Aussagen werden von unerwünschten getrennt und letztere diskreditiert und eliminiert wo es eben geht.

Mal am Rande betrachtet: Was unterscheidet Bücherverbrennung eigentlich von Löschung wissenschaftlicher Beiträge bei YouTube?

Erinnern Sie sich? Spinat enthält besonders viel Eisen, die Kontinentalplatten sind unbeweglich, die Erde ist eine Scheibe, Eternit die optimale Lösung für Ihre Dachbedeckung, Contergan ein sehr gut verträgliches Schlafmittel.

Wo kann es hinführen, wenn Aussagen nicht mehr hinterfragt werden dürfen? Gewissheiten und Alternativlosigkeit mögen uns Sicherheit suggerieren, aber das kann täuschen!

Wollen wir wirklich wieder der öffentlichen Hinrichtung von gegen den Strom Denkenden zusehen? Wollen wir es uns leisten, erfahrene, seriöse Wissenschaftler an der Arbeit zu hindern ? 

Vielleicht mögen Sie nun einwenden, dass wir es ja beim Kasus Corona nicht mit einer Glaubensangelegenheit zutun haben, sondern es vielmehr um Wissen und Fakten geht. 

Dazu ein salomonisches Ja und Nein: Bitte besteigen Sie kurz meine Zeitreisemaschine und beobachten sie die Wissenschaftler von 2040 bei ihrem schallenden Gelächter über die unfassbaren Irrtümer von 2020 und Sie reisen Sie danach kurz in die 1950er Jahre und lachen herzhaft mit mir über das „Wissen“ von damals. Wir erlangen immer mehr Wissen (und en passant auch kollektive Gesundheit!) durch permanenten konstruktiven Zweifel, fairen ergebnisoffenen Diskurs und die Nutzung unser aller Potentiale – niemals durch Denkverbote!

„Mit dem Wissen wächst der Zweifel“, konstatierte Goethe. „Und durch den Zweifel wächst das Wissen!“, rief er mir gerade noch hinterher, als ich ihn auf meiner Zeitreise kurz besuchte und ihm unsere heutige Misere schilderte; ich solle dies bitte unseren Fürsten höflichst von ihm ausrichten, trug er mir dringlich auf 😉 

Als Hoffnungsfunken in Zeiten des Corona-Schismas (gnadenloses Killer-Virus vs normale Grippewelle, Freiheit vs Sicherheit, restriktiver vs liberaler Staat etc.) kann vielleicht die Ökumene als Gedanke nützlich sein: Menschen können trotz unterschiedlichen Glaubens einen gemeinsamen Nenner finden, Verbundenheit herstellen, Zwist beilegen.

Es soll sogar Verbrüderung von HSV- und St. Pauli-Fans gegeben haben (sofern z.B. ein Bayer sein Glaubensbekenntnis offenbarte). Hunde und Katzen können Freundschaft schließen, wenn man ihnen geduldig das Prinzip „Vertragen, nicht schlagen“ erklärt!

Sehen Sie sich einmal um, wieviel Porzellan wir bereits zerschlagen haben: Die menschlichen Tragödien durch die Spaltung, die immensen wirtschaftlichen Schäden, die Eskalation, die sich auf den Straßen und in den polemischen Diskussionen hochschaukelt, Drohungen, Anfeindungen, Kontaktabbrüche. Mögen wir von Glück reden, dass Steinigungen bei uns aus der Mode gekommen sind, so ist ein Shit-Storm doch noch lange keine kulturellen Errungenschaft, derer wir uns rühmen könnten.

Und für die Christen unter uns: Wie wäre Jesus wohl einem Corona-Infizierten gegenüber getreten? Sogar gegenüber Aussätzigen soll er ja nicht unbedingt zum social-distancing tendiert haben. Gut, die Fragestellung ist etwas provokant, aber dass er beispielsweise Ungläubige attackierte und beleidigte ist meines Wissens nach nicht kolportiert. Nicht nur Christlichen Parteien könnte eine Rekalibrierung an dieser Stelle sehr von Nutzen sein. Auch würde ich gerne mal wieder ein „Fürchtet Euch nicht!“ zugerufen bekommen, es wäre zur Versöhnung ein wunderbarer Impuls! 

Aber wieder zur Gegenwart und zur besseren Greifbarkeit der Folgen von Spaltungen noch zwei Beispiele aus unserem heutigen Alltag:

Vielleicht kennen Sie Familien, in denen es ein „braves“ und ein „unartiges“ Kind gibt. Wie wirkt sich dies auf die Geschwisterbeziehung aus?

Vielleicht haben Sie aus dem beruflichen Kontext eine Erfahrung. Wie wirkt es sich auf ein Team aus, wenn es die „guten“ Kollegen gibt und die Fraktion „Störenfriede“?

Eltern und Vorgesetzte stehen hier in großer Verantwortung, Kooperation, Versöhnung und Miteinander zu fördern. Politik trägt eine ebensolche Verantwortung in unserer Gesellschaft, deren Umsetzung jedoch zum allgemeinen Leidwesen momentan einige Luft nach oben läßt.

Streitkultur, offene, kontroverse Auseinandersetzungen im Parlament (nicht in Ministerkonferenzen!), wissenschaftlicher Diskurs inclusive Peer-Review-Verfahren und unabhängigen Wissenschaftlern, Meinungsvielfalt in pluralistisch aufgestellten Medien – wir haben darin Erfahrung, die wir reanimieren könnten. Wenn aus der Politik momentan dahingehend kaum Engagement erfolgt, ist jeder einzelne von uns um so stärker gefordert, Dialog, Kontakt und Verständigung wieder aufzunehmen und vielleicht dabei auch manchmal den missionarischen Eifer zurückzunehmen, sofern dies den anderen überfordert oder seine Ängste zusätzlich triggert. Für meinen Teil muss ich eingestehen: „Alternativlosigkeit“ und ein Verbot des Zweifelns vor dem oben beschriebenen Hintergrund – denk ich an solche Worte in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht und halte die Morgenröte für den Widerschein bücherverschlingendes Feuers.

Wo sind die besonnen und integrativ wirkenden Köpfe, die wieder Möglichkeitsräume und angstfreies Denken und Handeln voran bringen? Wo ist das Volk, dem eine Wiedervereinigung gelungen ist? Ja, auch die Wiedervereinigung von Ost und West ist ein Beispiel für unseren kulturellen Erfahrungsschatz, wie die Überwindung einer Spaltung gelingen kann: durch die Überwindung der Angst und starken Zusammenhalt. Und wir könnten daraus zusätzlich lernen, dass kein Segen darauf ruht, wenn der Größere den Kleineren überrollt, sondern es der respektvollen Begegnung im Bewusstsein der Kompetenzen, Befindlichkeiten und Bedürfnisse des anderen bedarf, um eine neue gemeinsame Vision und Grundlage zu erschaffen. Dialogbereiter Verständigung und Würdigung Andersdenkender haben wir in großen Teilen unseren Frieden und Fortschritt zu verdanken, die Geschichte lehrt es. 

Sind wir gewillt, ihre Schüler zu sein?

2 Bemerkungen

  1. Meine liebe Ehefrau hat etwa ein 3/4 Jahr gebraucht, um ihre Zweifel festigen zu lassen. In dieser Zeit stand ich alleine, ohne mentale Unterstützung. Jetzt habe ich sie einer zweifelhaften Website (klatv) wegen ausbremsen müssen, damit sie nicht gegen die Wand fährt. Unsere Linie läuft jetzt perfekt. Unsere Tochter ist sehr kritisch, aber auch unserer Meinung. Bei unseren jüngeren Freunden ist das deutlich schlechter.

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  2. Liebe Frau Begerow,

    vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag, dessen geschilderte Erfahrungen ich wie wohl viel andere Menschen leider auch nur bestätigen kann und mir mittlerweile gut überlebe, mit wem ich welche Inhalte des „Coronakomplexes“ diskutiere. Sie legen den Blick auf die auf die vor uns liegende große Aufgabe der zukünftigen Versöhnung, die bei den vielfältigen vergangenen Verletzungen wieder die tiefe gemeinsame Erfahrung der vertrauensstiftenden Verbundenheit voraussetzt.

    Die Alternative dazu ist gerade in der tief gespaltenen USA zu beobachten. Noch können wir diesen Weg aufhalten, wenn wir uns (wieder) auf das besinnen können, was uns jenseits der oberflächlichen Fakten-Cheks, aufgwühlten Emotionen etc. in der Tiefe verbindet.

    Dazu werden Mittel und Wege benötigt, um wieder zu größerer Ruhe und Ausgeglichenheit zu kommen. Studien zu Folge nimmt weltweit gerade bei der Jugend, die mit am meisten von den Infektionsschutzmaßnahmen betroffen ist, die Beschäftigung etwa mit Achtsamkeitsmeditationen während der Lockowns noch mal zu. Da die Kirchen gerade häufig zu vergessen scheinen, das die von Ihnen zu Recht geforderte Botschaft „Fürchte Dich nicht!“ ihres am Kreuz als -neudeutsch- „Inlandsterrorist“ getöteten Gründers auch gerade in Pandemiezeiten gilt, werden sich in dieser Lücke vielleicht bald neue Wege spiritueller verbindender Praxis auftun, die sich nicht auf Glaubenswahrheiten zurückziehen, von denen der derzeitige Glaube an das massenmedial erzeugte Narrativ der „alternativlosen“ desaströsen Infektionsschutzpolitik beinahe schon religiöse Züge anzunehmen droht.

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