Ich erinnere mich
… nicht oft (und schon gar nicht chronologisch), aber wenn, dann gern … an die Zeiten im Nebel auf der Leiter nach oben, die ich immer erst später richtig genießen konnte, wenn die Sicht klarer wurde.
Ich über mich: Passionierter Zwilling mit Visionen, guter Laune zu
jeder Gelegenheit, geerdeter Naturverbundenheit, Adrenalin mit
integrierter Endlosschleife, Schweigen ohne sonderbare Nebeneffekte mit
kollektivem Gleichklang, Cashmere & Camouflage? Nein, so sehen mich
lediglich die Anderen in den Tagen faltenloser Jugend. Jeder, den ich
gar nicht kenne, hat ein vorgefertigtes Bild von mir. Das beginnt schon
bei Aufnahmen für Bandfotos. Alle stehen breitbeinig da, kreuzen die
Arme vor der Brust. Ich lass alles hängen, kreuze die Beine, und
vermittle den gelassenen Ausdruck einer Ballerina direkt nach ihrem Pas
de deux.
Damals bin ich schon alt genug, um es besser zu wissen,
allerdings zu jung, dass es mich einen Scheiß interessiert. Damals hab
ich mich auch verpisst, wenn es darum ging, die Hammond T 100 unseres
Tastenmannes von der Straße die enge, kurvige Treppe vom Bühneneingang
runter zur Bühne der „Lila Eule“ zu schleppen. Das „T“ steht zwar nicht
für Tonne, 100 Kilogramm hat sie aber. Wem das zu wenig erscheint, zwei
Zentner klingt mächtiger. Da, wo ich mich unsichtbar machen will, treffe
ich auf Gleichgesinnte. Heute sind viele Keyboarder kompakter als ihre
Instrumente, womit ich lediglich sagen möchte, die Hersteller haben sich
Gedanken über den Transpor t schwerer Gerätschaften gemacht. Musiker
sind eben auch nur Menschen wie er und sie, und er und sie wollen gern
alt werden aber nicht älter. Entweder oder beides. Solange du
schmerzfrei bist, musst du auch nicht „aua“ sagen, es sei denn du
möchtest wieder zurück in den Mittelpunkt. Da wollte ich nie hin,
deshalb bin ich ja hintergründiger Schlagzeuger geworden.
Als
ich mir eines Abends eine miese Influenza mit Gliederschmerzen und
derbem Husten einfange, weil ich zum Rauchen halb nackt auf den Balkon
geschlichen war, ist es zu spät, den übermorgigen Gig im
niedersächsischen Iselersheim bei Peter Pülsch abzusagen. Woher soll die
Band so schnell einen Ersatz bekommen und einarbeiten. Am Tag X lasse
ich mir den Rücken mit Tiger Balm einreiben und lege einen engen
Stützgürtel um die Hüften. Gegen die Halsschmerzen und die krächzende
Stimme nehme ich einen heißen Mix aus Apfelessig, Cayenne Pfeffer und
Honig in einer Thermoskanne mit. Schmeckt gruselig, sorgt aber
vorübergehend für eine recht klare Stimme. Anfang der 70er Jahre haben
wir uns alle noch strikt an die probaten Ratschläge unserer Mütter und
Omis gehalten.
Das erste Set ist fast vorbei, es ist tierisch
heiß auf der Bühne durch die vielen Strahler, und ich beuge mich ächzend
zur Flasche auf dem Boden, weil das Lied dran ist, das ich singen soll.
Durch die Bewegung nach unten hat der Gürtel sich gelockert. Schweiß
rinnt den Rücken runter bis in den Gesäßschacht, vermischt sich mit dem
Tiger Balm just in dem Moment, als ich zum dezenten Mundvoll ansetzen
will. Das stechende Überraschungsmoment dieser zündenden Situation,
unsichtbare Flammen von unten bis oben, im Handumdrehen brennen 1.000
Feuer, lassen Tränen über das glühende Gesicht laufen und mich heftig
nach Luft schnappen. Aus dem angedachten kleinen Schluck wird vor
Schreck ein tiefer Zug. Noch nie soll ich „Sea Cruise“ von Johnny Rivers
(uih, Baby, uih) mit so viel Inbrunst interpretiert und getrommelt
haben. Ich hingegen glaube, noch nie wurde ein Song mit so viel Hingabe
zerstört. Ich hätte mich am liebsten in der Hall of Shame versteckt.
Meine ekstatischen Zuckungen müssen die Menschen da unten aber auf eine
ganz andere Fährte geschickt haben. Donnerapplaus. Ende der Diskussion.
There‘s no business like show business.