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Ich erinnere mich – von George B. Miller

Ich erinnere mich – von George B. Miller

… nicht oft (und schon gar nicht chronologisch), aber wenn, dann gern … an die Zeiten im Nebel auf der Leiter nach oben, die ich immer erst später richtig genießen konnte, wenn die Sicht klarer wurde.

Das Zwischenmenschliche steht ganz vorn bei den Hagen Allstars. Wer in diesem verschworenen Haufen landen will, sollte jedoch die Grundbegriffe des Musizierens drauf haben, respektive, den Unterschied zwischen Dur und Moll wissen, Kenntnisse über Werder Bremen oder wahlweise Neil Young besitzen und keine Augenbraue rümpfen, wenn der Kollege Eierlikör einem Bier vorzieht. Die musikalische Einbindung in das Kollektiv kommt mit der Zeit wie von allein.

Kurz nach der Gründung Anfang der 90er entert ein Mann das stolze Schiff, der zwar alle o.g. Vorgaben erfüllt, mental aber eher Leichtmatrose als Rudergänger, akribischer Genießer jedweder Oberflächlichkeit, unfallsüchtiger Querdenker und repressiver Linksfahrer ist. Er kommt allerdings so galant daher, dass es der Band erst im Laufe der Jahre nachhaltig aufstößt. In aufreibenden Gesprächen und gutgemeinten Abmahnungen wird versucht, zu retten, was noch nach Vernunft riecht. Der Bock ist aber zu fett, wie man so schön sagt. Das Gemeinwohl steht kurz vor der Müllkippe. Wie ist es möglich, dass dieser planlose Charmeur sieben gestandene Musiker innerhalb eines Wimpernschlags auf die Rolle schicken, durch alle Mauern marschieren kann, und ein schier unmöglich zu entwirrendes Chaos entfacht, dass die Fortsetzung einer Probe undenkbar wird. Niemand mag mehr seine Hutschnur zur Verfügung stellen. Diesem „Lobbyisten“ muss umgehend die fristlose Kündigung ausgesprochen werden. Unter Freunden selbstverständlich so schonend wie es sich ziemt. Am besten direkt nach einem leckeren gemeinsamen Essen beim Chinesen, den Hauspianist Peter empfiehlt. „Ich bin da Stammgast“, mahnt er scherzend, „benehmt euch also wenn’s irgend geht. Ich möchte dort auch zukünftig verkehren.“

Die Herzen schlagen schwer, die Gespräche plätschern seicht weil das Gewissen mächtig auf die Pumpe drückt. Nur der, um den es geht, der noch nichts ahnt, gibt sich jovial wie immer. Die Suppe wird serviert. Die Löffel sind noch nicht eingetaucht, da eröffnet Mr. Unsensibel, der auch sonst nur zu gern bloßen Fußes seine Sorglosigkeit präsentiert, wie aus dem Nichts ziemlich ungalant die Runde: „Tut mir leid, Alter, aber du bist raus!“ Du meine Güte. Wie brutal. Musste das nun sein? „Wie raus?“ „Na ja, raus eben. Punkt! Aus!“ Am Tisch ist es für den Bruchteil der Schrecksekunde beängstigend still geworden. Der Angesprochene versteht erst gar nicht wie ihm geschieht. Dann wehrt er sich mit Messer und Gabel weil es von allen Seiten auf ihn herein prasselt. Dabei möchte jeder ihm nur etwas Nettes sagen, beschwichtigen, die Suppe entschärfen. Zu spät. Die Tür des Lebens geht ja nun mal nach innen auf. Aua! Das von den Pausen im Proberaum her bestens bekannte Stimmenchaos bricht los. Jeder will Recht, jeder hat Recht, ohne Punkt und Komma. Um den Geschassten geht es gar nicht mehr, und im chinesischen Service Bereich spitzen sie schon die Stäbchen weil sie ihre Mauer in Gefahr sehen. Die anderen Gäste im Laden haben schnell begriffen, dass diese deftige Konversation, wenn man das überhaupt noch so nennen kann, nichts mit den Speisen des Hauses zu tun hat. Sie essen also ruhig weiter, als acht Kopflose sich schleichen, um draußen weiter zu palavern. Jeder rückt vorher brav seinen Stuhl an den Tisch. Peter ganz besonders. Er möchte ja wiederkommen dürfen. Die Zeche geht auf Bandkasse. Wär ja noch schöner.

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