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Digitale Medien – Fluch oder Segen für die kindliche Entwicklung?

Digitale Medien – Fluch oder Segen für die kindliche Entwicklung?
Digitale Medien Fluch oder Segen für die kindliche Entwicklung? (Foto: Beatriz Vera/shutterstock.com)

Geht es um die Beschäftigung von Kindern mit digitalen Medien, liegen die Meinungen weit auseinander. Die einen sind davon überzeugt, dass die erhöhte Nutzung des Smartphones, der Spielekonsole, des Fernsehers und Computers sowie das Surfen und Spielen im Internet Kinder dumm, dick und aggressiv macht. Die anderen vertreten den Standpunkt, dass die Kinder dadurch neugierig, experimentierfreudig und schlau werden. Doch alle sind sich darin einig, dass es wichtig ist, Eltern und Kinder in der Medienkompetenz zu stärken.

Aber was umfasst eigentlich die sogenannte Medienkompetenz? Was ist eine erhöhte Mediennutzung und welche Auswirkungen hat eine erhöhte Nutzung elektronischer Medien tatsächlich auf die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen? Auf Grundlage dieser und ähnlicher Fragestellungen haben verschiedene Studien seit mehreren Jahren sehr differenziert Befragungen zu den Nutzungsgewohnheiten und medizinische Untersuchungen der Entwicklungsstände von Kindern und Jugendlichen durchgeführt.

Medienkompetenz und erhöhte Mediennutzung

Medienkompetenz ist, ganz allgemein formuliert, die Fähigkeit, Medien den eigenen Bedürfnissen und Zwecken entsprechend verantwortungsvoll zu nutzen. Dazu zählt zum einen das Einhalten des korrekten Verhaltens in sozialen Netzwerken, der sogenannten »Netiquette«. Zum anderen fällt unter diesen Begriff auch, Inhalte auf Richtigkeit und Qualität bewerten zu können, die Gefahren ungeschützter Aufnahme von Inhalten oder der Preisgabe personenbezogener Daten zu kennen, zu wissen, wie man sich im Internet schützt und auch im Hinblick auf die Nutzungsdauer der digitalen Medien einen verantwortungsvollen Umgang zu pflegen.

Doch angesichts dessen, dass auf der einen Seite bis heute noch kein abschließender Expertenkonsens hinsichtlich der zu definierenden altersbezogenen Nutzungszeiten besteht und auch Experten einräumen, dass Kinder sehr individuell auf Medien reagieren und die angegebenen Nutzungszeiten eher grobe Richtwerte seien, verwundert es nicht, dass die BLIKK-Studie, die 2016 und 2017 deutschlandweit durchgeführt wurde, zu dem Schluss kam, dass Eltern nicht über ausreichend Medienkompetenz verfügten und sich mehr Information zu dem Thema wünschen. Es wurde auch festgestellt, dass die Sensibilität für den maßvollen Umgang mit elektronischen Medien verbessert werden muss, da ein Großteil der Kinder die von angesehenen Institutionen empfohlenen Nutzungszeiten für elektronische Medien (Smartphone und Fernseher) überschreitet.

Basierend auf der KIM-Studie 2016 – Kindheit, Internet, Medien ließ sich laut dem Informationsportal »Neurologen und Psychiater im Netz« feststellen, dass bereits zwölf Prozent der Vorschulkinder digitale Medien länger als eine Stunde täglich nutzten und mit steigendem Alter die Mediennutzung noch weiter zunähme. Wichtig ist es hierbei zu erwähnen, dass sich die Richtwerte für die Nutzungsdauer elektronischer Medien auf die tägliche Nutzungsdauer aller digitalen, elektronischen Medien wie Fernseher, Hörmedien, PC, Spielekonsole, Smartphone und ähnlichem in der Summe beziehen.

Erhöhter Medienkonsum und Entwicklungsstörungen

Basierend auf den Datenauswertungen der BLIKK-Studie, gab ein Fünftel der befragten 10- bis 14-jährigen in der BLIKK-Studie (Mannheimer Fragebogen) selbst an, dass sie aufgrund ihres elektronischen Medienkonsums Konzentrationsprobleme hätten. Und tatsächlich gibt es laut der Studie signifikante statistische Zusammenhänge zwischen einem erhöhten elektronischen Medienkonsum und der Beobachtung von einzelnen von den Eltern beschriebenen Entwicklungsauffälligkeiten wie der Sprachentwicklungsstörung, Hyperaktivität und Konzentrationsstörung. Die Entwicklungsstörungen ziehen sich dabei durch die gesamte Bandbreite aller untersuchter Altersgruppen, die eine Gesamtmediennutzungsdauer von von mehr als 30 Minuten pro Tag hatten. Auch zeigt sich ein Zusammenhang zwischen einer erhöhten Nutzungszeit digitaler Medien und dem Body-Mass-Index in der Altergruppe der 10- bis 12-jährigen. Anhand der Studie konnte somit ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der erhöhten Nutzung von Smartphone und Tablett und den gesundheitlichen Auffälligkeiten bei den untersuchten Kindern und Jugendlichen belegt werden. Doch auf Basis der bisherigen Analysen konnte nicht belegt werden, dass diese beobachteten Entwicklungsauffälligkeiten tatsächlich durch eine erhöhte Nutzung digitaler Medien hervorgerufen werden. Es ist auch möglich, dass sich Kinder mit bestehenden Entwicklungsstörungen, vorzugsweise mit elektronischen Medien beschäftigen und Medien meiden, bei denen sie beispielsweise Lese- oder Verständnisschwierigkeiten hätten. Dies zu untersuchen soll Gegenstand weiterer Forschung sein.

Nutzen digitaler Medien

Gedächtnisforscher Emrah Düzel, Direktor des Instituts für kognitive Neurologie und Demenzforschung am Universitätsklinikum Magdeburg gibt an, dass er bei den Vergleichen von Jüngeren und Älteren in den letzten zehn Jahren keinen negativen Trend bei Kindern und Jugendlichen beobachtet habe. Jüngere könnten sich nach wie vor Dinge besser merken als ältere. Er beschreibt sogar den Nutzen digitaler Medien im Hinblick auf sein Aufgabenfeld der Demenzen. Durch den Einsatz von Apps könne man die kognitive Leistungsfähigkeit trainieren, erfassen und über längere Zeit verfolgen. Somit ließen sich schon früh Risikoprofile erkennen. Aber ob sich durch das Trainieren mit Apps bestimmte Fertigkeiten trainieren lassen, die den Menschen auch in anderen Zusammenhängen nützen können, sei unklar. „Wir erforschen gerade, ob es Schlüsselfunktionen gibt, die von vielen verschiedenen kognitiven Prozessen genutzt werden und die, wenn sie trainiert werden, allgemein wirksame Effekte entfalten“, sagt der Gedächtnisforscher. „Doch das einzige, was man bisher zeigen konnte, ist der Zusammenhang zwischen Gedächtnis und Fitness. Bewegung löst bestimmte Prozesse im Gehirn aus. Wenn die Bewegung mit körperlicher Anstrengung gekoppelt wird, werden zusätzlich biochemische Prozesse in Gang gesetzt, die die Gehirnplastizität verbessern.“

Die Gewohnheiten der Familien und Kinder, die Art wie sie ihre Freizeit gestalten, spielen, kommunizieren und sich informieren, spielen also eine wichtige Rolle und es ist ausschlaggebend, wie und mit welchen Inhalten sich Menschen und besonders Kinder in der digitalen Welt beschäftigen. Deshalb werden unter anderem Konzepte gesucht, die einen verantwortungsvollen Umgang mit den digitalen Medien frühzeitig zu trainieren helfen.

Die Bundesregierung hat in diesem Zuge festgelegt, dass die Nutzung der digitalen Medien für das persönliche Lernen und die Bildung sowie der Erwerb der Medienkompetenz gefördert werden sollen. Der Bund unterstützt daher die Fort- und Weiterbildung von Erziehern auch im Bereich der Medienkompetenz. Für die Erzieher in den Kindertagesstätten bedeutet das beispielsweise, dass sie den Kindern die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Medien pädagogisch näherbringen sollen, um der einseitigen Mediennutzung, welche möglicherweise innerhalb der Familie besteht, entgegenzuwirken. Es soll eine ganzheitliche Medienerziehung durch, mit und über Medien erfolgen, die das Ziel hat, einen kontrollierten Medienumgang mit kognitivem und emotionalem Verständnis und eine Erweiterung der bereits vorhandenen Medienkenntnisse und das Hinterfragen von Medieninhalten zu erreichen.

Ein Modellprojekt der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen wurde zwischen Mai 2010 und April 2011 durchgeführt. Es ermöglichte den teilnehmenden Kitas die Umsetzung verschiedener Projekte zur Vermittlung von Medienkompetenz und trotz anfänglicher Vorbehalte von Eltern und Erziehern zeigten sich die Kinder experimentierfreudig und interessiert. Aufgrund der positiven Resonanz wurde beschlossen regelmäßige Medientage in diesen Kitas durchzuführen.

Besonders wichtig ist es aber immer, dass die digitalen Medien maßvoll und als bereichernde Ergänzung des Lernens eingesetzt werden. Kinder dürfen nicht verlernen, die Qualitätsebenen einer analogen Welt zu erleben und sollen die Welt nicht nur am Bildschirm erforschen. Das vielfältige Erleben mit allen Sinnen und mit körperlicher Bewegung kann vielmehr, gekoppelt mit den digitalen Medien, sogar noch mobiler machen, weitere Informationen liefern und die Neugierde der Kinder auf Wissen wecken.

Ergebnisse der BLIKK Studie im Überblick:

Säuglinge (1. bis 12. Monat)
Es treten Probleme beim Füttern und Einschlafschwierigkeiten auf, wenn während der Säuglingsbetreuung digitale Medien genutzt werden. Außerdem zeigen sich Anzeichen für Bindungsstörungen aufgrund des reduzierten Blickkontaktes.

Zwei- bis fünfjährige
69,5 % der Kinder haben nicht die Fähigkeit, sich mehr als zwei Stunden ohne digitale Medien zu beschäftigen. Häufig ist eine verzögerte Sprachentwicklung zu beobachten. Bei diesen Kindern traten häufiger motorische Hyperaktivität oder Unruhe auf und sie ließen sich leichter ablenken.

Acht- bis 13-jährige
Neben einer motorischen Hyperaktivität traten vermehrt Konzentrationsschwächen auf, wenn diese mehr als 60 Minuten pro Tag digitale Medien nutzen. Diese Kinder griffen häufiger zu Süßgetränken und Süßigkeiten und litten in großer Zahl an Übergewicht.

13- bis 14-jährige
Die befragten Jugendlichen berichteten von Schwierigkeiten, das Internet selbstbestimmt und kontrolliert zu nutzen.

Autor: Marianne Büsing