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Schattenmächte – Transnationale Netzwerke gefährden die Demokratie

Schattenmächte – Transnationale Netzwerke gefährden die Demokratie
Foto: Pressmaster/shutterstock.com

Die Bevölkerung gibt Politikern ihre Stimme, damit sie mit ihrem Mandat Themen verhandeln, Entscheidungen treffen, Gesetze beschließen. So funktioniert eine repräsentative Demokratie. Doch die Politik büßt immer mehr an Entscheidungsgewalt ein, während im Hintergrund transnationale Netzwerke die Strippen ziehen. In seinem Buch „Schattenmächte“ beschreibt Fritz R. Glunk, wie rund 2.000 weltweit agierende Netzwerke aus der Wirtschaft der Politik den Rang ablaufen und damit die Demokratie gefährden. 

Auch wenn Politiker und deren Entscheidungen seit jeher zur Debatte stehen, bei einem war man sich eigentlich sicher: Es sind die Politiker, die für diese Entscheidungen verantwortlich zeichnen. Dass dies in vielen Bereichen mehr Schein als Sein ist, stellt Fritz R. Glunk in seinem Buch eindrucksvoll unter Beweis. Im Hintergrund spinnen Wirtschaftsgremien ihre Netze und beeinflussen die Politik. „Transnationale Netzwerke“ nennt Glunk diese losen Zusammenschlüsse, die sich abseits des politischen Zirkus‘ zu Konferenzen oder Councils verabreden. „Transnational“ deshalb, weil das Attribut „international“ impliziert, dass diese Verabredungen offiziell zwischen Staaten stattfinden – doch gerade das ist nicht der Fall. „Ein neuartiger regulatorischer Raum tut sich hier auf, der nichts mehr mit zwischenstaatlichen Vereinbarungen zu tun hat und den Einflussbereich sowohl des Völkerrechts wie des nationalen Rechts hinter sich zurückgelassen hat“, stellt Glunk fest.

Wer sind die Strippenzieher der Schattenmächte? In den Gruppierungen agieren vorwiegend Vertreter aus Wirtschaftsverbänden bestimmter Branchen, die im Austausch mit staatlichen Behörden stehen und laufend neue Regelungen entwerfen. Die Handlungsbereiche erstrecken sich über die gesamte Wirtschaft: es geht um Richtlinien zum Umweltschutz, die Regulierung von Pharmazeutika, Nahrungsmittel-Sicherheit, Kaffee- und Kakao-Standards, Rüstungskontrolle. Der Weg der Entscheidungsfindung führt am Parlament vorbei, ein öffentlicher Diskurs wird durch das Agieren im Hintergrund bewusst vermieden. Erst dann, wenn alles bereits beschlossene Sache ist, wirtschaftliche Neuregelungen vereinbart wurden, bekommt die Bevölkerung davon Wind.

Was nach Verschwörungstheorie klingen mag, ist Realität. Diese Zusammenschlüsse existieren nachweislich, doch viele davon sind den meisten gänzlich unbekannt. Sie tragen vorwiegend lange Namen wie „International Medical Device Regulators Forum“ (IMDRF), „Coalition für Accelerating Standards and Therapies“ (CFAST) oder „International Accounting Standards Board“ (IASB). Einige wenige Namen kann man hin und wieder der Tagespresse entnehmen. Etwa das „International Council for Harmonisation of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use“, kurz: ICH. Das ICH spricht auf Basis spezieller Beurteilungskriterien einheitliche Empfehlungen zur Arzneimittelzulassung in Europa, den USA und Japan aus und ist als eine der einflussreichsten Schattenmächte besonders in den Fokus von Fritz R. Glunk gerückt.

ICH hat keine Legitimität, aber immensen Einfluss auf Marktzulassung von Medikamenten 

Gegründet wurde das ICH nach Glunks Recherchen von der Europäischen Kommission, dem japanischen Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Sozialwesen, der amerikanischen Food and Drug Administration und drei Arzneimittel-Herstellerverbänden aus den drei Regionen. Dennoch ist es laut Glunk eine „Nicht-Organisation“, die offiziell keine eingeschriebenen Mitglieder hat. Ebenso herrscht durchweg Intransparenz über die Wege der Entscheidungsfindung. Patienten sind direkt betroffen, bekommen aber nichts mit.

Ohne jegliche völkerrechtliche Legitimität ist es dem ICH gelungen, dass die von ihm empfohlenen Leitlinien weltweit Einzug in geltendes Recht erhalten haben. Der Handel mit Medikamenten hat dadurch international einen riesigen Aufschwung erfahren. Erreicht wurde dies zum Teil durch beschleunigte Verfahren zur Marktzulassung von Medikamenten. Dafür werden jedoch Risiken für den Verbraucher in Kauf genommen – beispielsweise auch das Krebsrisiko. Wie Glunk darlegt, vertreten die Behörden in den USA und Japan die Ansicht, dass klinische Versuchsdaten in Bezug auf das Krebsrisiko mindestens zwölf Monate lang dokumentiert werden müssen, weil bestimmte Symptome erst spät auftreten. Das ICH empfiehlt hingegen, einige der klinischen Tests an Patienten schon nach drei bzw. sechs Monaten abzuschließen und den Medikamenten dementsprechend schnell eine Marktzulassung zu erteilen. Bei einigen neuen Medikamenten agierte das ICH widersprüchlich. So wies es zum einen darauf hin, dass bestimmte Symptome erst nach sechs bis zwölf Monaten auftreten können, verringerte die Mindestbeobachtungsdauer selbiger Medikamente dennoch von zwölf auf sechs Monate. 

Auf der anderen Seite setze sich das ICH wiederum für die Spitzentechnologie bei Überprüfungen ein – vermeintlich, um bessere Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) merkte an, dass höchste Technologie keineswegs mehr Sicherheit garantieren würde. Der Verdacht liegt nahe, dass die großen Pharmakonzerne, deren Vertreter den Herstellerverbänden angehören, für teurere Technologieverfahren plädieren, um kleineren Produzenten mit den auftretenden Mehrkosten zu schaden. Für die Big Player sind die Mehrkosten indes leichter zu stemmen. Die kleinen Konzerne aus den Entwicklungsländern können somit gar nicht mit den etablierten Konzernen aus den großen Industrieländern konkurrieren, womit diese Regelung weiteren Nährboden für die Oligopolisierung in der Pharmaindustrie bereitet. 

Glunk kritisiert, dass die Empfehlungen derartiger Organisationen oder Gruppierungen von politischer Seite häufig nur noch abgenickt und zum Gesetz umgewandelt werden. Damit führen die Entscheidungswege an Parlament und Öffentlichkeit vorbei. Ein schleichender Prozess der Entdemokratisierung. Der Autor beschäftigt sich zur Bekämpfung dieses Trends mit dem Vorschlag eines unabhängigen, modernen Tribunats als staatliches Organ, das als Sprachrohr der Bevölkerung ein Veto gegen Gesetzesbeschlüsse einlegen kann. Laut Glunk wäre dies ein bedeutsamer Schritt für die Demokratie: „Angesichts der Machtlosigkeit der Parlamente können einer Exekutive, die Arm in Arm mit den Wirtschaftsverbänden die Bevölkerung nur noch ruhig hält, um möglichst ungestört vor sich hin arbeiten und produzieren zu können, solche Gegengewichte demokratisch nur guttun.“ (sl)

Buchtipp
Fritz R. Glunk
Schattenmächte
dtv Verlagsgesellschaft München 2017
ISBN 978-3-423-26175-3

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