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„Wiederaufstieg des Westens?“

„Wiederaufstieg des Westens?“
Foto: Gokhan Y / Shutterstock.com

– ein Erschrecken mit welchem Ende?

von Kai Ehlers

Erschreckend, was sich zurzeit in der Ukraine ereignet. Erschreckend auch, dass der Mann, Wladimir Putin, der, seit er als Präsident Russlands angetreten ist, die Einhaltung der Völkerordnung durch die USA anmahnte, diese Ordnung mit dem Einmarschbefehl in die Ukraine jetzt selbst krass in Frage stellt. Das hat alle Freunde Russlands, den Autor dieses Textes eingeschlossen, hart überrascht, die noch Verhandlungsspielraum im Konflikt um die Ukraine gesehen hatten.

Nicht minder erschreckend ist, wie unverhältnismäßig und verlogen der Westen auf diese Wendung der Ereignisse reagiert: Mit einer ideologischen Mobilisierung und Aufrüstung gegen Russland, die die eigene Verantwortung für die Entstehung dieser Situation vollkommen leugnet, und hart an die Grenzen einer internationalen Ausweitung des lokalen Krieges führt. So etwas hat man bei Grenzübertretungen seitens anderer Mächte in der jüngeren Vergangenheit, etwa der NATO in Jugoslawien, der USA im Irak, nicht erlebt.

Und dennoch: Mit Mitleid für die ukrainische Bevölkerung, die diesen Krieg zu ertragen hat, mit Empörung über den Bruch des Völkerrechtes durch Putin, der jetzt sein „wahres Gesicht“ zeige, auch mit bigotter Genugtuung, dass der Westen nun einen „Wiederaufstieg“ erlebe, ist es nicht getan. Die Frage stellt sich über die Lagerbildung hinaus: Wem nützt dieser ganze Vorgang?

Die Antwort scheint klar. Er nützt keiner der unmittelbar in die Kämpfe verwickelten Parteien. Nicht der Ukraine, versteht sich, die noch tiefer ins Chaos ihres Bürgerkrieges gedrückt wird als schon in den Jahren zuvor, die sogar geteilt aus den jetzigen Kämpfen hervorgehen könnte. Nicht Russland, das der internationalen Ächtung verfällt und in seiner wirtschaftlichen und politischen Stabilität schweren Schaden nehmen wird.

Aber auch nicht den Europäern, die sich auf Gedeih und Verderb von Russland wirtschaftlich und kulturell trennen und den Amerikanern ausliefern. Das Stichwort „Nordstream 2“ kann hier für das Ganze stehen.

Als lachende Dritte erscheinen allein die USA, weit entfernt vom aktuellen Kriegsgeschehen. Für sie werden durch die Entzweiung von Europäischer Union und Russland, die sich gegenseitig schwächen, statt miteinander zu kooperieren und gemeinsam an der Friedens- und Sicherheitsordnung zu bauen, wie Russland es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion immer wieder anbot, gleich zwei Gegner aus dem Spiel genommen und der Weg für die Konfrontation mit China freigemacht. Mehr noch, die Europäische Union, besonders Deutschland als deren Mitte, wird erneut und für eine längere Dauer zum Erfüllungsgehilfen der Politik der USA.

So weit, so absehbar, könnte man denken – und je länger und je blutiger der Krieg auf ukrainischem Boden andauern wird, desto ‚nachhaltiger‘ werden Europa und Russland in dieser Weise blockiert und US-Zielen dienstbar. Das können Transatlantiker vor dem Hintergrund der unübersehbaren Krise der USA und ihrer „follower“ in der Tat als „Wideraufstieg des Westens“ verstehen.

Möglich sind allerdings auch andere Folgen dieses lokalen Krieges, wenn sich die Staaten, die schon im weiten Vorfeld der jetzigen Zuspitzungen auf Gegenkurs zu dem von den USA dominierten Westen waren, also die Staaten des BRICS-, sowie des Shanghai-Bündnisses, unter ihnen insbesondere China, Indien, Brasilien Südafrika, unter dem Druck des gegen Russland erklärten Sanktionskrieges jetzt enger zusammenschließen.

Das gilt insbesondere, wenn der Ausschluss Russlands aus dem Dollar-basierten SWIFT-Zahlungssystem die Dominanz dieses Systems teilweise durchlöchert oder bei einem gänzlichen Ausschluß Russlands von dem westlichen System sogar ganz beendet, weil diese Staaten sich dann um die Asiatische Entwicklungsbank zu einem eigenen Finanzzusammenhang zusammenschließen, der schon lange herangewachsen ist.

Das könnte eine neue Finanzkraft entstehen lassen, die die Dollar-Dominanz zu brechen imstande sein könnte. Damit hätte der lokale Konflikt globale Dimensionen erreicht.

Da diese Variante allen Beteiligten klar ist, dürften viele von den Maßnahmen, die von westlicher Seite jetzt mit lautem Getöse angekündigt werden, letztlich auf ein sehr viel kleineres Maß heruntergeschraubt werden, um den globalen Konflikt in Grenzen zu halten. Was dabei aus der Ukraine wird, eine Übernahme durch Russland, ein Beitritt zur EU oder die Fortdauer als ein weiterer „eingefrorener Konflikt“, der sich in die anderen „eingefrorenen Konflikte“ einreiht, die schon als Minen des Jahrhunderts bereitliegen, ist zurzeit eine offene Frage, die nicht in der Ukraine entschieden wird.

Um das Wohl, die Gesundheit und das Leben der zivilen Bevölkerung wird es dabei am wenigsten gehen, in der Ukraine ebenso wenig wie in Russland oder Europa.


Foto: Kai Ehlers © privat. Nur für redaktionelle Zwecke

Kai Ehlers ist selbstständiger Publizist, Forscher und Buchautor. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf den Entwicklungen in den Staaten des früheren sowjetischen Einflussbereichs und deren lokale wie globale Folgen. In Deutschland engagiert er sich in der Debatte um gesellschaftliche Alternativen.

Weitere Informationen unter www.kai-ehlers.de.


Zum Thema Ost-West-Ukraine finden Sie nachfolgend Lesetipps von Helmut Schnug, Betreiber der Seite www.kritisches-Netzwerk.de:

»Dem Westen entgleitet die Welt. Es geht ums Prinzip, nicht um Verständigung.«; von Rüdiger Rauls, Trier:
https://kritisches-netzwerk.de/forum/dem-westen-entgleitet-die-welt-es-geht-ums-prinzip-nicht-um-verstaendigung

»Anerkennung ukrainischer Republiken Donezk und Luhansk.«; von Ulrich Gellermann, Berlin:
https://kritisches-netzwerk.de/forum/anerkennung-ukrainischer-republiken-donezk-und-luhansk

»Krieg dem Krieg: Bevor die Ukraine Atommacht wird.«; von Ulrich Gellermann, Berlin:
https://kritisches-netzwerk.de/forum/krieg-dem-krieg-bevor-die-ukraine-atommacht-wird

2 Bemerkungen

  1. Der Beitrag bringt dem Anliegen der Russen in dieser Angelegenheit nicht besonders viel Sympathie und Verständnis entgegen. Russland wird hart kritisiert. Genau das, was im Moment in einer systematisch emotionalisierten Gesellschaft angesagt ist.

    Aber wenn man schon so überfliegermäßig meint, dieses Land und seine pol. Exponenten erzieherisch „angehen“ zu können (was ja im Moment im tollen Wertewesten wohlfeil und geradezu überlebenswichtig für das soziale Leben ist), mit beiläufig auch ordentlicher Kritik an den Werte-Westlern (klingt dann auch gleich nach „ausgewogen“, nicht wahr?), dann möge der Autor doch auch sagen, wie sich die Russen der seit 30 Jahren ausgeübten Druckpolitik seitens einer arroganten NATO- und EU-Clique denn sonst erwehren können.
    Was sagt er zu dem seit 8 Jahren dauernden Terror gegenüber der zivilen Bevölkerung in den Volksrepubliken L & D? Nix. Die ukrainischen Machthaber haben Verträge dazu unterzeichnet, sich aber keinen Dreck darum geschert, geschweige denn sie umgesetzt. War auch den MSM während all dieser Zeit kaum einer Erwähnung wert.
    Währenddessen über 14000 Zivilisten vom ukr. Militär und den faschistischen Asow-Banden massakriert worden sind und gewaltiger Sachschaden entstanden ist. Von der Unterdrückung der ethnischen Russen im ganzen Land mal ganz abgesehen…und den Machenschaften der korrupten Regierenden und ihrer Seilschaften gar nicht zu reden.

    Und dann wäre es doch eine Erwähnung wert gewesen, dass die NATO-Funktionäre aufgrund der dringlichen Anfrage seitens der Russen eigenwillig-störrisch erklärt haben: Es ist die alleinige Entscheidung der Ukraine, welchem Bündnis sie angehören will und wie es seine Zukunft gestalten will, während die Russen dazu überhaupt nix zu melden haben…Wohlgemerkt: So reden die zu den Vertretern des größten Flächenlandes dieser Welt über die Vorgänge in seinem Vorgarten! Und die gingen davon aus: Auch diesmal wird Putin wieder bluffen. Jetzt sind sie sauer, weil sie das alles falsch eingeschätzt haben, aber das ist ein anderes Thema…und das kriegt man in den Griff, wenn man die eingesackte Medienmeute auf seiner Seite hat, die 24/7 über die „russische Aggression“ schwurbelt. Und jetzt schon das Thema „Weltkrieg, ausgelöst durch Putin“ in die Pipeline schiebt.

    Welche Verhandlungsmöglichkeiten sind dann noch gegeben für die Interessen der Russen?
    Oder glaubt der Autor im Ernst, dass es gut wäre für die weltpolitische Lage, wenn die von den Amis gestützten und gepamperten Ukronazis in Schlagdistanz von ca. 400 km vor Moskau ihre Raketen aufstellen dürfen? Und wenn die dann noch davon reden, dass sie das Recht haben, nukleare Bewaffnung anzuschaffen… Kann man so naiv sein zu glauben, dass sich die stärkste und modernste Militärmacht der Welt das gefallen lassen wird?

    Jedenfalls finde ich diesen Artikel alles andere als bedeutsam und wenig hilfreich. Die Motivation des Autors, in dieser russophoben Tonlage zu schreiben, dürfte wohl im eigenen Sicherheitsbedürfnis vor anti-russischen Übergriffen und in der Systemkonformität liegen.

    Antworten
  2. „Mit Mitleid für die ukrainische Bevölkerung, die diesen Krieg zu ertragen hat, mit Empörung über den Bruch des Völkerrechtes durch Putin, der jetzt sein „wahres Gesicht“ zeige, auch mit bigotter Genugtuung, dass der Westen nun einen „Wiederaufstieg“ erlebe, ist es nicht getan.“

    Kai Ehlers luegt sich selbst in die Tasche. Seit 8 Jahren ist Krieg in der Ukraine und nur wenige kuemmert es. Jetzt, seit 8 Tagen, kommt das grosse Geschrei. Diese Heuchelei ist einfach ekelhft. Ich lese Kai Ehlers schon lange nicht mehr, weil es keine Perspektive fuer einen friedlichen Planeten hat und nur im ASand herumwuehlt.

    Noch gilt als wichtigstes Prinzip des Voelkerrechts das Selbstbestimmungsrecht der Voelker. Dies gilt auf der Krim genauso wie im Donbas als auch in Suedtirol oder Nord-Spanien oder Plaestina. Staatsrechte sind immer dem Recht der Voelker untergeordnet Wenn wir dieses Thema ansprechen, dann wird Kai Ehlers immer sehr ruhig.

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