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Das Wattenmeer stirbt – Hanseatische Habgier zerstört UNESCO-Welterbe

Das Wattenmeer stirbt – Hanseatische Habgier zerstört UNESCO-Welterbe
Foto: lichtmaster/shutterstock.com

Der Mensch sucht noch immer seinen Platz in der Natur, deren Bestandteil er ja eigentlich ist. Doch noch immer gelingt es ihm nicht, seine Gier soweit zu beschränken, dass er in Harmonie mit seiner Umwelt leben könnte. Die Dualität im Spannungsfeld zwischen Mensch und Natur heißt dabei nicht: Besseres Leben für die Menschen auf Kosten der natürlichen Ressourcen. Denn die meisten Produkte, deren Herstellung, Verwertung und Entsorgung auf Kosten der natürlichen Ressourcen gehen, sind ungesund. Chemisch angereicherte Nahrung, in Qualzucht ermordete und medikamentös behandelte Tiere, Wegwerfprodukte und millionenfach in Ausbeutung hergestellte Waren, die über die Weltmeere zu uns gelangen, damit sie dann beispielsweise im Hamburger Containerhafen umgeschlagen werden können. Die Dualität lautet: Bereicherung auf Kosten der Natur und – das macht es dann zum weiteren Politikum – auch auf Kosten der Menschen, die Lebensqualität verlieren, damit einige Wenige begünstigt werden.  

Damit der Hamburger Hafen die wachsenden Anforderungen der Seelogistik erfüllen kann, muss die Elbe vertieft werden, so die Ansicht der Vertiefungsverantwortlichen. Denn zur Bereicherung der am Wertschöpfungsprozess beteiligten Unternehmen müssen noch größere Schiffe noch mehr Container transportieren können. Damit der Umschlag schneller funktionieren kann, muss die Wirkung der Gezeiten eliminiert werden. Die Elbe soll durchgängig unabhängig von Ebbe und Flut auch für die ganz großen Containerschiffe befahrbar sein. Schiffe mit bis zu 13,5 Metern Tiefgang können dann gezeitenunabhängig ein- und ausfahren (mit der Flutwelle bis 14,5 Meter Tiefgang). 286 Millionen Euro kostet die Maßnahme und umfasst eine Länge von 100 Kilometern von der Elbmündung in Cuxhaven bis nach Hamburg.

Statt sich innovativen Märkten in nachhaltigen Segmenten zu widmen, setzte sich Hamburg mit seinem rückwärtsgewandten und umweltzerstörenden Vorhaben gegen alle Bedenken durch. Dass das Containergeschäft in Hamburg nur eine begrenzte Zukunft hat, ist dabei absehbar. Häfen wie Bremerhaven, Cuxhaven und vor allem Rotterdam liegen in der Umschlaggeschwindigkeit kilometerweit vor den Hamburgern. Daran ändert auch eine kürzere Liegedauer ohne Gezeitenhindernis nichts. Hinzu kommt die zunehmende Automatisierung der Niederländischen Häfen, die die Kosten pro Container dort weiter sinken lassen werden. 

Umweltverbände erstatten Strafanzeige

Bereits am 23. Juni 2020 erstatteten die Umweltverbände BUND, NABU und WWF Anzeige gegen unbekannt, da am Elbufer zwischen Otterndorf und Cuxhaven tagelang Tausende toter Fische angespült wurden. Sie forderten die Hamburg Port Authority (HPA) und die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GWDS) als „Bauherren“ der Elbvertiefung auf, alle Baggerarbeiten sofort zu stoppen, solange die Ursachen für das dramatische Fischsterben nicht restlos aufgeklärt sind.

„Tonnenweise junge Heringe, Stinte, Finten und tote Aale werden täglich aus bislang nicht abschließend geklärter Ursache ans Ufer gespült, sogar Schweinswale und Störe sind dabei. In unmittelbarer Nähe dieses Elbabschnitts fanden zu diesem Zeitpunkt massive Baggerarbeiten für die Elbvertiefung und die geplanten Unterwasserablagerungsstätten Medemrinne Ost und Neufelder Sand statt. Das Bündnis „Lebendige Tideelbe“ fordert die zuständigen Behörden auf, sofort Untersuchungen einzuleiten, um die Ursachen für das Fischsterben zu klären. Bislang liegt der Verdacht nahe, dass der Einsatz der Baggerschiffe im Bereich der Elbmündung zu einer Schädigung der Fische führt. Aber auch andere Ursachen wie der Eintrag von Giftstoffen können nicht ausgeschlossen werden“, beschreiben es die Umweltverbände. 

Was sich bereits an der Elbe und in der Elbmündung abspielt, ist eine Katastrophe. Was dem Wattenmeer bevorsteht, können wir heute nur erahnen. Es verdichten sich die Hinweise darauf, dass die Befürchtungen der Umweltverbände, die die mittlerweile neunte Elbvertiefung seit 1825 verhindern wollten, noch übertroffen werden könnten. Die Auswirkungen auf das größte zusammenhängende Wattgebiet der Welt, das sich von den Niederlanden über Deutschland bis hinauf nach Dänemark erstreckt, sind unabsehbar.

Erosion der Elbsedimente an der Ostemündung; die verbliebene Sandbank wird von Seehunden genutzt.
Foto: Walter Rademacher via Wikimedia, keine Änderungen vorgenommen (Lizenz: CC BY-SA 2.5)

Als Weltnaturerbe können nur jene Stätten ausgezeichnet werden, die aufgrund ihrer geologischen und ökologischen Prozesse einen außergewöhnlichen universellen Wert besitzen und für den Erhalt der biologischen Vielfalt unverzichtbar sind. Ein Naturgebiet, das für gegenwärtige und künftige Generationen von Bedeutung ist und dessen Schädigung ein unermesslicher Verlust für die gesamte Menschheit wäre.

Die Unesco hebt die Bedeutung des Wattenmeers hervor: „Mehr als 10.000 Tier- und Pflanzenarten, 10 bis 12 Millionen durchziehende Zugvögel pro Jahr, die größte zusammenhängende Schlick- und Sandwattfläche weltweit – das Wattenmeer ist ein Ort voller Extreme und von besonderer Bedeutung für die weltweite Biodiversität. Die transnationale Welterbestätte verbindet zugleich die drei Staaten Deutschland, Dänemark und die Niederlande und ist somit Ausdruck langjähriger erfolgreicher internationaler Kooperation zum Schutz dieses einzigartigen Naturerbes. Das Wattenmeer zeichnet sich durch ein sehr hohes Maß an Biodiversität aus: 2.300 Pflanzen- und Tierarten leben in und von den Salzwiesen, die marinen und brackwasserhaltigen Zonen beherbergen circa 2.700 weitere Arten. Zu den im Wattenmeer lebenden Säugetieren zählen Seehunde, Kegelrobben und Schweinswale. Im Schlick tummeln sich Muscheln und Krebse, Faden- und Strudelwürmer, darüber hinaus ist das Watt Laichplatz von zahlreichen Meeresfischen wie Scholle und Seezunge. Das große Nahrungsangebot macht das Wattenmeer unentbehrlich als Zwischenstopp für Zugvögel. Auf dem ostatlantischen Flugweg gelegen, ist das Wattenmeer eines der weltweit wichtigsten Gebiete für Zugvögel und in ein Netzwerk anderer, für Zugvögel bedeutender Gebiete eingebunden. Es dient als Rast-, Mauser- und Überwinterungsgebiet für Vögel auf ihrem Weg von Südafrika entlang der Atlantikküste nach Nordsibirien. Das Gebiet beherbergt bis zu 6,1 Millionen Vögel gleichzeitig. Somit ist das Wattenmeer für die weltweite Biodiversität von entscheidender Bedeutung.“

Lebensraum Hunderter Tierarten wird zerstört

Mit der Vertiefung der Elbe wird nicht nur die Strömungsgeschwindigkeit des Flusses drastisch erhöht, was absehbare Folgen für die belebte Natur in und an der Elbe hat. Durch die Verklappung des Elbeschlickes direkt am Wattenmeer wird dieses in seiner natürlichen Struktur zerstört. Strömungen verändern sich, das Niveau des Meeresgrundes steigt, Lebensräume und „Kinderstuben“ Hunderter Tierarten werden zerstört. Hinzu kommen giftige Einträge, die in einer sehr kurzen Zeitspanne millionentonnenweise im Lebensraum Wattenmeer verklappt werden. Bis zu 10 Prozent der verklappten Schlickmengen haben die höchste Schadstoffbelastung – sie sind also hoch-toxisch. Tanja Schlempp dokumentiert die Situation auf ihrer Webseite wattenmeerschutz.de: „In 2019 wurde eine Jahresmenge von 10.354.000 Kubikmeter Baggergut am Weltnaturerbe Wattenmeer vor Cuxhaven und in die Deutsche Bucht vor Helgoland umgelagert:

• 6.554.000 m3 aus der Elbe-Fahrrinne vor Cuxhavens Küste
• 3.800.000 m3 Hamburger Hafenschlick vor Helgoland 

Der Bund (BMVI) hat sich mit den Ländern (HH, SH, NS) verständigt, erstmals ab August 2018 auch stark belastetes Baggergut aus dem Baggerabschnitten 1-3 (Wedel, Lühesand, Juelssand) bei km 730/740 im Mündungstrichter zu entsorgen. Das Baggergut wird in der Auswirkungsprognose der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) als kritisch bewertet. Es verfügt über einen hohen Schwebstoffgehalt und über Schadstoffe, die in den Fall 3 nach GÜBAK eingestuft sind. Fall 3 bedeutet, dass das Baggergut deutlich höher mit Schadstoffen belastet ist, als die Hintergrundbelastung des Verklappungsgebietes. Es handelt sich um die höchste Schadstoffklasse nach GÜBAK. Die Jahresmenge beträgt rund 1 Million m3. Die Jahresmenge wurde sowohl in 2018 als auch in 2019 voll ausgeschöpft.“

Hätte man den Aushub anderweitig ablagern können? 

„Bis zu diesem Zeitpunkt (das Jahr 2006) wurde das Baggergut ortsnah umgelagert. Das heißt, es landete nur das Baggergut vor Cuxhavens Küste, das unmittelbar im Bereich der Außenelbe in der Fahrrinne gebaggert werden musste. Das waren kleine Mengen sandigen Materials, die zudem nur bei Ebbe umgelagert worden sind. Und heute? Parallel zum Leitdamm östlich der Fahrrinne ist eine Großdeponie für gebaggerten Schlick aus der Fahrrinne der gesamten Tideelbe entstanden. Es handelt sich um insgesamt 5 Klappstellen (plus die Klappstellen bei Neuwerk/Scharhörn), auf denen jährlich bis zu 4 Mio. Kubikmeter schlickiges Baggergut sowie die gleiche Menge sandiges Baggergut aus dem Baggerbereich Osteriff entsorgt werden dürfen. Insgesamt also die unvorstellbare Menge von 8 Mio. Kubikmetern.“

Die direkte Umgebung der Naturschutzgebiete ist nun zur Giftmülldeponie umgewidmet worden. Das Primat der Wirtschaft kennt keine Gnade, wenn es um Kosten-Nutzen-Verbesserungen geht. Die Kosten und Risiken werden sozialisiert, der Nutzen fließt einigen wenigen Unternehmen zu. Die Maßnahmen, deren Volumen die geplanten 286 Millionen Euro übersteigen wird, bezahlt der Staat – also die Bürgerinnen und Bürger, die Zerstörung der Umwelt und insbesondere des Schutzraumes Wattenmeer bezahlen die Tiere mit ihrem Leben, die Fischer mit ihrem Einkommen und die Menschen mit dem Verlust eines einzigartigen Naturraumes.

Umweltzerstörung im Koalitionsvertrag geregelt

Wer nun reflexartig glaubt, diesen zerstörerischen Umgang mit der Natur künftig verändern zu können, indem das Kreuz bei der nächsten Wahl in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder auf Bundesebene bei den GRÜNEN macht, sollte sich gut informieren: Das Artensterben in Elbe und Wattenmeer hat auch den Segen der ehemaligen Umweltpartei. Auch wenn auf Bundesebene bis zuletzt die Krokodilstränen flossen, einigten sich die Hamburger Grünen mit der SPD auf die gemeinsame Umweltzerstörung. Der Koalitionsvertrag(1) zwischen SPD/Die GRÜNEN ist ein Paradebeispiel für die politische Sprache der Gegenwart. Auf Seite 24 des Vertrages ist die Elbvertiefung geregelt. Die Einstiegsformulierung hilft den Grünen augenscheinlich, das Gesicht zu wahren: „Die Koalitionspartner sind sich über die Beurteilung der Notwendigkeit einer weiteren Elbvertiefung uneinig.“ Das ist natürlich blanker rhetorischer Unsinn. Die Einigung ist ja in den folgenden Zeilen festgehalten: „Sie vereinbaren dennoch folgendes verbindliches Vorgehen (es folgt die Beschreibung der Umsetzung)… Die Koalitionspartner verpflichten sich zu einer verbindlichen und zeitnahen Umsetzung aller etwaigen gerichtlichen Maßgaben des BVerwG und werden in der Folge alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um die zügige bauliche Umsetzung der Fahrrinnenanpassung zu erreichen.“ Wenn das keine Einigkeit ist, was soll es dann sein?

Das Kind ist in den Brunnen gefallen – besser noch: Der Schlick fällt jeden Tag in die Nordsee und wird dort sein Unheil anrichten. Es bleibt also erneut die Aufgabe der Zivilgesellschaft, das Handeln von Politik und Wirtschaft zu kontrollieren und darauf zu hoffen, dass die Judikative den gesetzmäßigen Ausgleich der Interessen unter Berücksichtigung der Ansprüche der Natur und vor allem der künftigen Generationen im Auge hat und entsprechende Entscheidungen trifft. Dies ist insbesondere bei Vorhaben der Fall, deren Auswirkungen nicht mehr umkehrbar sind – wie die Zerstörung des UNESCO-Welterbes Wattenmeer. (vc)

Quellennachweis:
(1) https://www.spd-fraktion-hamburg.de/fileadmin/pdfbibliothek/pdf_Downloads/koalitionsvertrag_download.pdf

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