MANGELERSCHEINUNG
Am 19. Dezember 2018 hat das Bundeskabinett das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz
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beschlossen. Es soll ab 2020 die
Grundlage für eine gezielte Einwanderung schaffen und Migranten
aus nicht EU-Staaten den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt
erleichtern. Zwei Faktoren sind für die Erwerbsmigration
nach dem neuen Regelungsvorschlag wichtig: Der wirtschaftliche
Bedarf und die Qualifikation. Zusätzlich sollen die
Anerkennungs- und Visumverfahren erleichtert werden, um Migranten
die Möglichkeit zu geben, Teil der deutschen Gesellschaft
zu werden. Auf den ersten Blick eine Win-win-Situation,
zumindest für Einwanderer und die BRD. Doch wie sieht es
mit dem Herkunftsland aus? Geht nicht gerade bei der Anwerbung
von geistigen Eliten wichtiges humanes Kapital in Form
von Lehrern, Ärzten und Wissenschaftlern verloren? „Das ist
zu eindimensional gedacht“, sagt Migrationsforscher Dr. Uwe
Hunger, von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Er ist der Meinung, dass aus dem vermeintlichen Verlust für
das Herkunftsland ein Gewinn entstehen kann.
In den 60er Jahren veröffentlichte die britische Regierung einen Bericht,
der die damalige rückläufige Entwicklung der Wirtschaft erklären
sollte. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Abwanderung
von Bildungseliten in andere Länder für diesen Einbruch verantwortlich
sei. Daraus resultierend etablierte sich der Begriff Brain
drain (wörtl. Abfluss von Gehirn), der den Verlust von humanem Kapital
einer Gesellschaft beschreibt. Die Ursachen solcher Migrationsbewegungen
sind individuelle, soziale und politische Umstände
im jeweiligen Herkunftsland. Schlechte Arbeitsbedingungen, eine
geringe Bezahlung oder fehlende Karrierechancen sind nur einige
Gründe für eine Abwanderung. Aber auch die Einschränkung der
persönlichen Freiheit, politische Verfolgung oder Instabilität der
Heimat spielen eine Rolle.
Die Folgen der Abwanderung sind katastrophal: Es fehlt Personal in
wichtigen Sektoren wie Bildung, Gesundheit und Forschung. Während
das Aufnahmeland von der Migration profitiert, leidet das Entwicklungspotential
des Abgabelandes unter dem Fachkräftemangel.
Brain drain auf der einen Seite bedeutet brain gain (wörtl. Zufluss
von Gehirn) auf der anderen. Während ein Land (hoch)qualifiziertes
Personal verliert, gewinnt ein anderes durch die Einwanderung
an Know-how und Innovationspotential. Die in den 70ern vorherrschende
Dependenztheorie besagt, dass hierarchische Abhängigkeiten
zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bestehen, die
Entwicklungsmöglichkeiten von Letzteren begrenzen. Sie erklärt
Entwicklungsländer zu Verlierern der Einwanderungspolitik von großen
Industrienationen. Sie scheitert aber daran, dass sie interne
Bedingungen und politische Entscheidungen der Entwicklungsländer
ignoriert.
Hauptaufnahmeländer von Fachkräften sind Amerika, Kanada und
Australien, die nicht nur mit besseren Arbeitsbedingungen und höherer
Bezahlung locken, sondern auch durch Englisch als Amtssprache
nur eine niedrige Sprachbarriere aufweisen. Auch Deutschland
ist ein beliebtes Einwanderungsland und das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz
soll dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung sind 2017 knapp
544.757 Menschen aus Nicht-EU-Staaten in die Bundesrepublik
eingewandert. 38.082 Personen erhielten dabei einen Aufenthaltstitel
als Fachkraft. Sie kommen überwiegend aus Indien, Bosnien-
Herzegowina, den USA, Serbien und China.
Illustratiom: Leika75/shutterstock.com
Zwischen brain drain und brain gain