phan Hofmeister auf das mögliche Szenario
im Herbst hin. Ende April waren die Krankenhäuser
in Deutschland leer und immer weniger
Patienten besuchten die Praxen der niedergelassenen
Ärzte. Die Corona-Angst hielt
sie davon ab, auch notwendige Untersuchungen
und Therapien vornehmen zu lassen. Die
Folgen dieser Vermeidung gesundheitlich notwendiger
Maßnahmen können sich schon in
den kommenden Monaten rächen.
Um die Risiken zu verstehen, welche die KBV
sieht, muss man sich die Dimensionen vor Augen
führen. Anfang Mai waren 40.000 Menschen
in Deutschland SARS-CoV-2 positiv getestet,
eine unbekannte Anzahl von ihnen erkrankt.
Von diesen wurden 1.979 intensiv
behandelt, knapp 1.400 beatmet. Gleichzeitig
leiden in Deutschland 2.100.000 Menschen
unter der Atemwegserkrankung COPD,
2.500.000 Menschen unter Herzinsuffizienz,
7.000.000 Menschen unter Diabetes Mellitus
und 19.000.000 Menschen unter Bluthochdruck.
Bei allen diesen Erkrankungen ist ein
gutes Monitoring sowie eine genaue medikamentöse
Einstellung der Patienten unerlässlich
– auch um schwere Verläufe und Komplikationen
zu vermeiden, die zum Teil irreversible
Schäden und auch Todesfolgen haben können.
Allein diese über 30.000.000 chronisch kranken
Menschen werden in großer Zahl aufgrund
unterlassener Arzt- und Klinikbesuche
erkranken, zahlreiche werden sterben. Schon
im April zeigten Statistiken aus England eine
Übersterblichkeit (Übersterblichkeit: die erhöhte
Zahl von Sterbefällen während einer bestimmten
Zeitspanne, verglichen mit der zur
selben Jahreszeit normalerweise erwarteten)
bei Krankheiten, die nicht mit COVID19 assoziiert
sind. Eine Studie in Österreich wies
nach, dass sich immer weniger Menschen mit
akuten Herzerkrankungen in Kliniken und bei
den niedergelassenen Ärzten vorstellten. Auch
in Deutschland gehen die Zahlen von Herzinfarkten
und Schlaganfällen scheinbar zurück.
Es gibt aber nicht plötzlich weniger Fälle.
Die Menschen gehen nur nicht zum Arzt.
Die KBV-Vorsitzenden sind besorgt: Bei vielen
akuten Erkrankungen ist die sofortige Erkennung
und Behandlung angezeigt. Herzinfarkte
und Schlaganfälle gehören dazu. Aber auch
das Verschieben von notwendigen Untersuchungen,
Operationen und Therapien wird die
Zahl der Todesfälle, die im Zusammenhang mit
der SARS-CoV-2-Saison auftreten könnten um
ein Vielfaches übersteigen. Geschwüre, die in
Anfangsstadien erkannt werden könnten und
leicht zu entfernen sind, können sich Wochen
und Monate später zu Karzinomen auswachsen.
Aus einer Bagatellerkrankung wird ein potenziell
tödlicher Verlauf. Nach der Corona-Krise,
so die Sorge der KBV, könnten die Gesundheitseinrichtungen
überfüllt sein, weil immer
mehr akute Fälle und Komplikationen auftreten
und überdies das Versäumte nachgeholt
werden muss. Dann hätte die Corona-Panik
die Voraussetzungen dafür geschaffen, was
vermieden werden sollte: Das Gesundheitssystem
zu überlasten.
ABGERECHNET WIRD ZUM SCHLUSS!
Wie bei jedem Ereignis von enormer historischer,
sozialer und wirtschaftlicher Tragweite,
wird im Rückblick festzustellen sein, „wie
es denn nun wirklich war“. Ob sich daran die
Journalisten beteiligen werden, die maßgeblich
die Entwicklung mitbestimmt haben und
noch immer mitbestimmen, scheint fraglich.
Es werden vermutlich Juristen, Wissenschaftler
und zivile Organisationen sein, die die Fakten
sortieren, die entscheidenden Irrtümer herausarbeiten
und Verantwortlichkeiten benennen.
Abgerechnet wird zum Schluss.
Das wird auch die Dimensionen der angerichteten
Schäden betreffen: Eine traumatisierte
Gesellschaft, eine zerstörte Wirtschaft und der
Verlust des Vertrauens in die Demokratie werden
zu bewerten sein. Die reinen Kosten in Euro
und Cent sind im Moment nicht abzuschätzen.
Die Summen, die derzeit im Raum stehen,
übersteigen jedes Vorstellungsvermögen. Wir
werden also abwarten und in den kommenden
Jahren nachrechnen, was uns diese Monate
gekostet haben werden. Die Corona-Krise
wirft viele Fragen auf. Die nach dem Schutz
der Verfassung vor dem staatlichen Eingriff
und die der Haftung von Politikern, die innerhalb
weniger Wochen das Volk um seine
Rechte, seine Gesundheit und seinen Wohlstand
gebracht haben. Es werden auch die Gesetzgebungswünsche
von Gesundheitsminister
Spahn unter die Lupe zu nehmen sein, die
weitreichende Ermächtigungen des Gesundheitsministeriums
und viele Drangsalierungen
der Menschen ermöglichen sollen. Auch eine
Diskussion über die Politikerhaftung könnte
durch die Corona-Krise neuen Auftrieb erhalten.
Bundestagsabgeordnete und damit auch die
aus ihren Reihen ernannten Regierungsmitglieder
sind durch den Artikel 38 vor Haftungsrisiken
geschützt. Sie können also Milliarden
und Billionen Euro aus dem Volksvermögen
pulverisieren und müssen sich um die
eigene Altersvorsorge oder das eigene Vermögen
oder gar die juristische Verfolgung keine
Gedanken machen. Zu den Juristen, die
das ändern wollen, zählt Carlos A. Gebauer.
Seine Idee ist einfach aber überzeugend. Er
möchte die Haftungsregeln, die schon heute
für Vorstände großer Unternehmen gelten,
auch für politische Mandatsträger anwenden.
Dies nicht, um die Politiker in Not und Armut
zu treiben.
WER SOLL DAS BEZAHLEN?
Das Haftungsrecht ist für Gebauer in erster Linie
ein Regelungsbereich, der darauf abzielt,
dass Verantwortungsträger sich verantwortungsvoll
verhalten und auf die Qualität ihrer
Entscheidungen achten. „Hinter der Schadensersatzverpflichtung
eines jeden Beauftragten
verbirgt sich – auf ersten Blick meist
übersehen – der wesentliche Kern des Haftpflichtgedankens:
Das Prinzip der Qualitätssicherung!“
schreibt Gebauer. „Schadensersatzverpflichtungen
schützen nämlich nicht nur repressiv,
indem entstandene Schäden ersetzt
werden müssen. Sie schützen in weit größerem
Ausmaß noch präventiv, indem drohende
Schäden erst gar nicht entstehen. Denn jeder,
der handelt, verhält sich in diesem Falle
schon von vornherein vorsichtiger, sorgfältiger
und umsichtiger, weil er sich selbst vor Rückgriffansprüchen
schützen will.“
Gebauer hat eine Novellierung des Artikel 38,
Absatz 1 des Grundgesetzes vorgeschlagen:
„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier,
gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie
sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge
und Weisungen nicht gebunden und sie haben
bei ihrer Parlamentsarbeit die Sorgfalt eines
ordentlichen und gewissenhaften Mandatsträgers
anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt
nicht vor, wenn der Abgeordnete bei einer politischen
Entscheidung vernünftigerweise annehmen
durfte, auf der Grundlage angemessener
Information zum Wohle des Volkes zu handeln.
Abgeordnete, die ihre Pflichten verletzen,
sind den Geschädigten zum Ersatz des daraus
entstehenden Schadens als Gesamtschuldner
verpflichtet. Ist streitig, ob sie die Sorgfalt eines
ordentlichen und gewissenhaften Mandatsträgers
angewandt haben, so trifft sie die Beweislast.
Schließt der Abgeordnete eine Versicherung
zur Absicherung gegen Risiken aus
seiner beruflichen Tätigkeit ab, ist ein Selbstbehalt
von mindestens 10 Prozent des Schadens
bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen
seiner festen jährlichen Abgeordnetendiäten
vorzusehen. Für die Dauer seiner
Zugehörigkeit zum Bundestag gilt jeder Abgeordnete
als Amtsträger im staatshaftungsrechtlichen
Sinne.“
Wie wären die Ereignisse wohl verlaufen, hätte
es solch eine Regelung schon vor „Corona“
gegeben? Mit wie viel Sorgfalt würden die Politiker
mit unserem Geld, unserer Natur, unserer
Gesellschaft umgehen? Man stelle sich vor
– Politiker müssten sich für ihre Handlungen
verantworten. Eine schöne Utopie.
Wolfgang Jeschke
Die zahlreichen Quellen zu diesem Beitrag
finden sich auf unserer Website unter
WWW.LAUFPASS.COM. Hier sind die Dokumente
und Fundstellen verlinkt. Sie eignen
sich zur Überprüfung der Aussagen in diesem
Bericht sowie zur Fortsetzung eigener
Recherchen.
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