GETRENNT ZUSAMMEN
DER ISOLATION-SONG
Sitze nicht nur dumm rum
und rede drüber, tue es! Nils
Wandrey, talentierter Sohn des
einstigen Direktors von Bremerhavens
Zoo am Meer (der nebenbei
übrigens mit seiner Band Why
Six auch noch immer live für gute
Laune sorgt), hat den Satz nicht
nur gesagt, er setzt ihn auch immer
wieder um. Nach dem Aus seiner
ersten Band Crackʼn Upʼs, gerade
von einer erfolgreichen Tour
als Headliner aus Japan zurück,
geht es Schlag auf Schlag. Nils
baut sein „Alligator Farm“-Studio
aus, produziert, komponiert, steigt
2011 beim Scorpions Drummer
James Kottak in dessen Band als
Bassist ein und tourt europaweit
NILS WANDREY
Bremerhaven
durch ausverkaufte Häusern. Sein
jüngster Coup: Ein Aufruf im Internet
an Musiker weltweit, die sich,
wie er auch, gerade in „sozialer
Distanz“ üben. Das Echo ist erst
einmal überwältigend. Viele wären
gern dabei, besitzen aber leider
die technischen Voraussetzungen
nicht.
Der Initiator ist dennoch hoch zufrieden.
Nein, die Idee ist nicht
neu, aber sie ist grandios, riecht
nach einem Haufen Arbeit. Viel Liebe
und kreative Leidenschaft sind
zudem Voraussetzung. Inspiriert
wird Nils von Musikern auf Instagram,
denen er zuschaut, wie sie
mit der Selbstquarantäne in ihren
Proberäumen oder in Studios umgehen.
FIONA MACMAHON
Limerick, Irland
Er greift sich seine Akustikgitarre,
nimmt eine unschwer
nachzuvollziehende Akkordfolge
auf und summt dazu eine passende,
aber eigene Melodie. Dazu
schreibt er eine Spielanleitung, in
der steht, dass alle alles machen
dürfen, Raps integrieren, ein Trompetensolo,
die Gitarren von Nils löschen.
Tonart und Tempo müssen
bleiben!
Der Plan: „Macht Musik mit euren
Möglichkeiten, auch wenn ihr kein
Studio zuhause habt, und lasst uns
schauen was dabei rüberkommt.“
Die Spannung ist groß. Was wird
passieren? Erst einmal hagelt es
Fragen nach einer Gesangsspur,
einer Melodie, einem Text, um
sich besser in die Grundidee, die
ja quasi nicht existent ist, einfinden
zu können. Niemand möchte
schließlich mit seinem Instrument,
das aufgenommen werden soll, etwas
kaputtmachen. Geduldig abwarten
ist angesagt. Da treffen nur
48 Stunden später zwei komplette
Drum-Takes (inklusive Video) vom
ebenfalls engagierten Vorzeige-
Trommler Bremerhavens, Vincent
Golly, bei ihm ein, die mit sichtbarem
Spaß eingespielt wurden.
Der Rock ist ins Rollen gebracht.
Die Zweifel, ob es etwas werden
könnte, sind verschwunden. Immerhin
ist schon mal einer überzeugt,
deutlich am Elan seines
Trommelns zu erkennen. Nils
schreibt nun doch den Text, singt
seinen Part ein und schickt das Video
erneut an die Musiker, die bereits
mit ihm in Kontakt getreten
sind. Zeitgleich sendet auch Julie
Kononova ihren eigenen Text, der
allerdings einen ganz anderen Hintergrund
hat und Fiona MacMahon
bietet interessante Zweitstimmen
an, die zwar super cool sind, aber
leider nicht zum Rest passen.
Das Projekt wächst von Tag zu Tag,
von Stunde zu Stunde. Mit einem
Mal sind aber aus der anfänglichen
Melodie vier verschiedene Songs
geworden. Die gilt es nun, in Relation
zu setzen, dass alles wie aus
einem Guss klingt und trotzdem
jeder Künstler präsent ist. Zusammengefügt,
notfalls Arrangement
geändert, wenn nötig den bereits
Mitwirkenden neue Playbacks erstellt
und verschickt. Für den „Alligator
Farm-Mann“ wird die Nacht
zum Tag.
„Herausgekommen ist nun kein
„Weltverbesserer“-Song samt politisch
und kritisch-wichtigem Text,
der in Frage stellt, wer da was so
für und über uns entscheidet“,
sagt er, „sondern einfach nur ein
Lied, das uns zeigen soll, wie wir
zusammen etwas tun können ohne
zusammen zu sein. Separately
unite, separat zusammen.“ Wunderschöne
und durchdachte Worte
über Enthaltsamkeit, Zweisamkeit
und gegen Einsamkeit.
JULIE KONONOVA
Chelyabinsk, Russland
Alle Beteiligten haben sich dann in
dem Clip auch zum ersten Mal gesehen.
Ein überzeugendes Beispiel
für Social Distancing. Bleibt für einen
korrekten Künstler die Antwort
auf die Frage nach dem Urheberrecht.
Wer immer Text und Melodie
erfindet, ist der Urheber. Für Nils
Wandrey ist aber klar, ohne Vincent
Golly und Jimmy James, die
ersten Ritter dieser weltweiten Tafelrunde,
wäre das Ergebnis nicht
(oder anders) zustande gekommen.
Fairerweise meldet er beide
als Co-Autoren bei der GEMA an,
auch wenn sie sich vehement wehren.
Alle anderen haben gar keine
Mitgliedschaften bei ähnlichen Institutionen
wie BMI oder ASCAP in
ihren Ländern. Ergo, alle sind mit
dem Ergebnis zufrieden. Zu hören
und zu sehen ist das gelungene
Gesamtwerk bei Spotify, Apple
Music, YouTube oder anderen digitalen
Plattformen mit der Möglichkeit,
per simplem Klick seine Wertschätzung
oder einfach sein Gefallen
zu dokumentieren. gbm
CHRISTY LICHTENSTEIN
Huntington Beach, USA
SPENCER LYNCH
Cleveland, USA
VINCENT GOLLY
Bremerhaven
JIMMY JAMES
Tampa, USA
TRISTAN STADTLER
Bremerhaven
HIER GEHT'S
ZUM SONG
www.youtube.com/watch?v=I3RwxFD7fZA
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