
service gesundheit 47
ZUR PERSON:
Prof. Dr. Dieter Ukena ist seit 2004 Chefarzt und medizinischer Leiter
des Bremer Zentrums für Lungenmedizin.
Der in Emden geborene Mediziner ist ein ausgewiesener Spezialist der
Lungenheilkunde. Unter anderem ist Ukena Autor und Mitherausgeber
von mehr als 200 Publikationen und Buchbeiträgen aus den Themengebieten
Pharmakologie, Pneumologie und Onkologie, Vorsitzender der Zertifizierungskommission
„Lungenkrebszentren“ der Deutschen Krebsgesellschaft
(DKG) sowie Verfasser und Koordinator von medizinischen Leitlinien
zu Lungenkrankheiten wie Asthma, COPD und Lungenkarzinom.
Ukena hat 2018 die Lungenstiftung Bremen mit ins Leben gerufen, die
von der AOK Bremen/Bremerhaven unterstützt und gefördert wird.
www.lungenstiftung-bremen.de
DAS GANZE
INTERVIEW LESEN:
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Wie sieht Ihre Behandlung aus? Was versuchen Sie als
Mediziner zuerst?
Ukena: Jede Behandlung richtet sich nach der Schwere der Erkrankung.
Im Vordergrund stehen zunächst Maßnahmen zur Infektionsbehandlung
wie körperliche Ruhe, eine moderate Fiebersenkung
und eine zurückhaltende Flüssigkeitszufuhr, da
ansonsten die Sauerstoffaufnahme in der Lunge beeinträchtigt
werden kann. Außerdem werden die Vitalfunktionen überwacht.
Also: Ist der Patient bei klarem Bewusstsein, wie ist seine
Körpertemperatur, wie ist die Atemfrequenz? Außerdem
behandeln wir natürlich die Grundkrankheiten wie Diabetes
oder COPD. Wenn wir merken, der Patient wird kurzatmig, messen
wir die Sauerstoffsättigung des Blutes mit einem Pulsoximeter.
Die Sauerstoffsättigung sollte größer oder gleich 90 Prozent
sein.
Wann greift man zu einer Beatmung – und warum sieht
man so viele Patienten in der Berichterstattung in der
Bauchlage?
Ukena: Wenn der Sauerstoffgehalt im arteriellen Blut kritisch
abfällt oder wenn wir merken, dass der Patient aufgrund der erhöhter
Atemfrequenz erschöpft ist, müssen wir ihm einen Beatmungsschlauch
einführen und die mechanische Beatmung
auf einer Intensivstation beginnen. Die maschinelle Beatmung
führt durch einige Besonderheiten des Atmungssystems dazu,
dass bei einem auf dem Rücken liegenden Patienten Abschnitte
in dem hinteren, zwerchfellnahen Bereich der Lunge
kollabieren. Sie werden geringer belüftet, sind aber weiterhin
gut durchblutet, was wiederum die Sauerstoffaufnahme verschlechtert.
Durch die Bauchlagerung der Patienten wird der
Anteil der schlecht belüfteten Lungenareale deutlich verkleinert
und das Zusammenspiel von Belüftung und Durchblutung
verbessert. Außerdem bessert sich die Funktion der Atemmuskulatur.
Deshalb müssen solche Patienten über mindestens 16
Stunden pro Tag auf dem Bauch gelagert werden.
Ab welchen Zeitpunkt wird die Beatmung wieder ausgeschlichen
oder abgestellt?
Ukena: Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass bei einer
Covid-19-Lungenentzündung mit akutem Lungenversagen relativ
lange Beatmungszeiten von 12 bis 14 Tagen notwendig
sind. Dann beginnt der etablierte Prozess der Entwöhnung von
dem Beatmungsgerät. Einfach abgeschaltet werden die Beatmungsgeräte
natürlich nicht.
Es heißt, dass Männer besonders gefährdet seien. Sind
die Atemorgane der Männer „anders“ oder reagieren sie
einfach anders auf das Virus?
Ukena: Tatsächlich sind Männer und Frauen etwa gleich häufig
mit Covid-19 infiziert, aber zwei Drittel der Verstorbenen sind
männlichen Geschlechts. Mögliche Erklärungen für diese Unterschiede
sind, dass hier Lebensgewohnheiten wie Rauchen oder
Alkoholkonsum einen Einfluss haben. Wir wissen aber auch,
dass Geschlechtshormone unterschiedliche Effekte haben: Das
weibliche Hormon Östrogen zum Beispiel stimuliert das Immunsystem,
das männliche Testosteron bewirkt das Gegenteil.
Hinzu kommt: Die Immunabwehr durch Proteine wird auf XChromosomen
»kodiert« – und davon besitzt die Frau zwei, der
Mann jedoch nur eins. Deshalb gibt es bei Frauen eine stärkere
Immunregulation, was zum Beispiel bei der Abwehr einer Virus-
Infektion hilfreich ist.
Die Corona-Pandemie verursacht eine ungewöhnlich
hohe Zahl von Beatmungspatienten. Sehen Sie die Gefahr,
dass etliche dieser Patienten auch nach dem Klinikaufenthalt
dauerhaft beatmet werden müssen?
Ukena: Das Spektrum potenzieller Langzeitschäden der Lunge
ist vielfältig. Je nachdem, ob die Covid-19-Patienten schon zuvor
an einer Lungenkrankheit wie etwa COPD gelitten haben, können
unterstützende Maßnahmen wie eine Langzeit-Sauerstofftherapie
oder die nicht-invasive Beatmung für diese Menschen
notwendig werden. Aber welche Größenordnung die Langzeitschäden
nach den Coronavirus-Lungenentzündungen erreichen,
kann man aktuell nicht abschätzen. Trotzdem: Wir haben eine gute
medizinische Versorgung in Deutschland – die betroffenen Patienten
werden sicher uneingeschränkt versorgt.
WEITERE
INFORMATIONEN
Haben Sie Fragen zum Coronavirus oder zu einem anderen Gesundheitsthema?
Der medizinische Informationsservice AOK-Clarimedis
liefert die Antworten – rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr und
für alle AOK-Mitglieder kostenfrei.
Telefon: 0800 1 265 265. www.aok.de/clarimedis
Unter www.aok.de/coronavirus informiert die AOK Bremen/Bremerhaven
umfassend über die Infektionskrankheit und gibt z.B.
Tipps zum Umgang mit Homeoffice.
Auf der Seite www.aok.de/bremen/bleibtgesund bietet die AOK
Ideen für das Familienleben während der Corona-Pandemie an –
zum Beispiel zu den Themen »Ernährung«, »Fitness & Entspannung«
und »Kinderspiel«.