
Es gibt viele tragfähige philosophische Konstruktionen,
die ohne Empathie für unsere Mitwesen
auskommen und ihnen dennoch unveräußerliche
Rechte zuweisen: Freiheit, Unversehrtheit
und das Recht zur Entfaltung eines
artgerechten Lebens. Darüber hinaus gibt es
viele Ansätze, die auf der Wahrnehmung der
Empfindsamkeit von Tieren und ihrer Bedürfnisse
basieren – also sowohl einen kognitiven als
auch einen empathischen Impuls als Ausgangsmoment
haben. Auch aus der empathischen
Perspektive ist es schwer möglich, die diskriminierende
Trennung zwischen Mensch und Tier
aufrecht zu halten und schlechterdings unmöglich,
mit dem Massenmorden fortzufahren.
Die Zeiten ändern sich. Die Philosophin und Autorin
Hilal Sezgin, die in Frankfurt Philosophie
studierte, beschreibt es in ihrem Werk „Artgerecht
ist nur die Freiheit“: „Die Philosophen und
Philosophinnen, die in den 1970er und 1980er
Jahren über unsere Pflichten gegenüber Tieren
nachzudenken begannen, mussten sich oft
noch rechtfertigen: Warum sollten Tiere moralisch
überhaupt zählen?“ Sezgin stellt eine starke
Veränderung fest, welche das Denken und
Handeln der Gesellschaft bis hin zum Massentierhalter
zu beeinflussen beginnt. Die Fragestellung
hat sich verändert. Heute lautet die
zentrale Frage: „Worin bestehen ihre Interessen,
wie sieht ein vollständiges oder gutes Leben
für Tiere aus, und inwieweit dürfen wir dies
beeinträchtigen oder gar beenden?“
Wir stehen am Anfang einer globalen sozialen
und ethischen Veränderung. Die Überwindung
unterschiedlicher Diskriminierungsformen
hat begonnen. Der Rassismus erlebt zwar eine
neue Blüte in einigen Ländern, doch ist das
Bewusstsein von der Gleichheit der Menschen
in ihrer Unterschiedlichkeit dabei, unsere Sicht
auf die Welt zu verändern. Auch das Ende der
Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit
zum weiblichen Geschlecht hat begonnen. Eine
Umkehr wird es nicht mehr geben können.
Eine neue Gleichberechtigung der Geschlechter
wird sich entwickeln. Diese wird vermutlich
nicht mehr das Streben nach einer „Gleichbehandlung“
der Geschlechter sein, sondern die
Gleichberechtigung unter Berücksichtigung der
Unterschiedlichkeit und der individuellen Bedürfnisse
und Wünsche der Geschlechter und
Personen weiterentwickeln. Die modernen Gesellschaften
haben sich der Überwindung von
Rassismus und Sexismus angenommen und
werden damit noch lange beschäftigt sein. Dennoch
finden nun auch neue Sichtweisen auf das
Verhältnis des Menschen zu den Tieren immer
mehr Raum in der öffentlichen Diskussion wie
in der privaten Reflektion. Die Hoffnung scheint
berechtigt zu sein, dass immer mehr Menschen
den nächsten Schritt einer sozialen Evolution
hin zu einer auch tiergerechteren Gesellschaft
machen und intensiv nachdenken über die Befreiung
der Tiere.
12 www.laufpass.com
TIERWOHLLABEL
Mit der wirtschaftsschädlichen Diskussion um
die Haltungsbedingungen von Tieren in der Lebewesenverwertungsindustrie
erkannten unterschiedliche
Marktteilnehmer wie auch die
Bundesregierung die Notwendigkeit, öffentlichkeitswirksame
Maßnahmen zu entwickeln, um
der beginnenden Sorge der Verbraucher um das
Leid der verwerteten Lebewesen zu begegnen.
Das Ergebnis sind „Tierwohl-Label“, die bei oberflächlicher
Betrachtung eine Verbesserung der
Situation für viele Lebewesen in Verwertungshaft
darstellen, allerdings in erster Linie und im
gleichen Atemzug die Tierquälerei in verschiedenen
Stufen der Grausamkeit legitimiert und bagatellisiert.
Selbst der Deutsche Tierschutzbund
beteiligt sich an dem zynischen Geschäft. Zitat
DTB: „Mit dem Tierschutzlabel "Für Mehr Tierschutz"
des Deutschen Tierschutzbundes werden
Produkte tierischen Ursprungs gekennzeichnet,
denen Tierschutzstandards zugrunde liegen,
die für die Tiere einen wirklichen Mehrwert an
Tierschutz gewährleisten.“
Die Wirklichkeit des Labels: Das zweistufige Label
für Hühnerhaltung sieht in der ersten Stufe
vor, dass höchstens 17 Hühner (25 Kilo Huhn)
pro Quadratmeter gehalten, in der „Premium“-
Label-Klasse sind es dann „nur“ noch 15 Hühner
pro Quadratmeter. Zwei fundamentale Probleme
offenbaren sich hier: Zum einem wird die nicht
artgerechte Haltung durch vermeintliche Labels
nun auch von „Tierschützern“ legitimiert. Denn
Hühner brauchen für ein artgerechtes Leben ein
recht großes Areal und zum Ausleben ihrer physischen
und sozialen Bedürfnisse gänzlich andere
Bedingungen. Zum anderen steckt in allen
„Tierwohl-Labels“ die grundsätzliche Legitimation
von Massentierhaltung unter fragwürdigsten
Umständen und die grausame Tötung der Tiere
nach einem Leben voller Misshandlung und Entwürdigung.
Noch fragwürdiger als das Label des Deutschen
Tierschutzbundes ist das Tierwohllabel der Bundesregierung.
Es ist nichts anderes als eine gezielte
Irreführung der Bevölkerung und belegt
die enge Beziehung zwischen Politik und Tierverwertungswirtschaft.
Es räumt den Tieren ein
paar Zentimeter mehr Platz ein und wendet sich
gegen das unbetäubte Kupieren von Schweineschwänzen.
Die nicht artgerechte Haltung, die
Misshandlungen sind aber bereits im Tierschutzgesetz
verboten. Das Tierwohllabel schafft nun
etwas ganz Groteskes: Es tut so, als würde es
Verbesserungen für die Tiere bewirken, macht
aber genau das Gegenteil, indem es definiert,
was dem „Tierwohl“ entspricht. Und die Definitionen
des Labels sind insgesamt und in jedem
Detail ein eklatanter Widerspruch gegen
eine artgerechte Haltung und eine misshandlungsfreie
Behandlung. Was entsteht durch also
durch solche Label? Es ist die einfache und zynische
Logik: „Tierwohllabel“ sind die Legitimation
von Grausamkeit und Verwertung und damit ein
strategisches Mittel der Industrie zur Entkräftung
von Einwänden gegen den millionenfachen
tierquälerischen Missbrauch unserer leidensfähigen
Mitwesen. Ein juristisches Gutachten entlarvt
das Bundeslabel in vielen Details als irreführend
und tierfeindlich*.
TIERFREUNDLICH TÖTEN?
Aus dem wachsenden Markt für Bio-, Nachhaltigkeits- oder auch Tierwohlprodukte, deren Erfolg darin
liegt, „sensibleren“ Menschen ihre Vorbehalte gegenüber Tierquälerei zu nehmen, kommen immer
wieder neue Marketing-Initiativen. Eine der bizarrsten ist der Trend zum „tierfreundlichen Töten“.
Bereits der Begriff offenbart das Dilemma und ist ein groteskes Beispiel für ein tierfeindliches
Neusprech. Töten ist immer der Prozess, bei dem einem Lebewesen, dessen stärkster Antrieb das
Überleben ist, gegen dessen Willen seine Lebendigkeit mit Gewalt entrissen wird. „Tierfreundliches
Töten“ gibt es nicht. Schon gar nicht zum Zwecke der Verwertung des Lebewesens. Allenfalls gibt es
die empathische Erlösung eines Mitwesens (gleich ob Mensch oder Tier), das in unheilbarer Krankheit
und Schmerz kurz vor dem Tod steht und durch die Erlösung in den letzten Phasen einer Agonie
von Qual befreit wird, um den unvermeidlichen Tod eintreten zu lassen.
LESEEMPFEHLUNGEN:
Peter Singer: Die Befreiung der Tiere
Tom Regan: Defending Animal Rights
Friederike Schmitz: Tierethik: kurz und verständlich (mit vielen weiterführenden Quellen)
Hilal Sezgin: Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen
Weblinks:
Das „Tierschutzlabel“ des Deutschen Tierschutzbundes.
„25 Kilo Hühnermasse pro Quadratmeter“ www.tierschutzlabel.info
*Gutachten zum Tierwohllabel der Bundesregierung
www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/gutachten_tierwohl-label.pdf
PETA Deutschland e.V: WWW.PETA.DE
Animal Rights Watch: WWW.ARIWA.ORG
Foto: Tsekhmister/shutterstock.com