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Wenn man an Armut denkt, hat man meist ferne Länder im Kopf, in
denen Familien kaum etwas zu essen haben und nur mit dem Allernötigsten
auskommen müssen. Doch gibt es sie auch direkt vor unserer
eigenen Haustür. Gerade in Bremerhaven ist die Armut bei vielen Familien
groß. Besonders erschreckend dabei ist die Tatsache, dass sie sich offenbar
»vererbt« und nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene wirkt, sondern sich
auf weitere Aspekte, wie beispielsweise die Bildung, ausweitet. „Finanzielle
Unterstützung allein genügt nicht, um zu helfen“, sagt Cornelia Rönnefahrt.
Mit ihrem Verein Sonnenblume e.V. hat sie es sich zur Aufgabe
gemacht, den Teufelskreis von Armut zu durchbrechen und Kindern aus
ärmlichen Verhältnissen die nötigen Hilfestellungen zu geben, damit sie
sich selbst aus der Perspektivlosigkeit befreien können. Für sie ist klar: „Bildung
ist der Schlüssel.“
In einer Sozialraum-Analyse der AWO Bremerhaven von 2016 wurde festgestellt,
dass 33,6 Prozent der unter 15-jährigen von Armut betroffen sind. Private
Initiativen wie Rückenwind für Leher Kinder e.V., der Leher Pausenhof und
eben auch der Sonnenblume e.V. in Leherheide versuchen diese Kinder aufzufangen.
Der Verein Sonnenblume betreibt eine Kleiderbörse und eine Kinderwohnung
in der Hans-Böckler Straße. Hier finden sich täglich bis zu 40
Kinder im Alter von 9-14 Jahren ein, um etwas zu essen, Hausaufgaben zu
machen und weitere Angebote der Initiative zu nutzen. „Bildung steht bei uns
ganz klar im Fokus. Wir möchten die Kinder nicht einfach bespaßen, sondern
ihnen nachhaltige Hilfestellungen bieten“, sagt Cornelia Rönnefahrt.
Bildungsarmut ist das eigentliche Problem
Für die Projektkoordinatorin des Sonnenblume e.V. ist das größte Problem
nicht die Armut an sich, sondern die Bildungsarmut, die damit einhergeht.
„Kein Kind ist in Deutschland finanziell arm“, meint sie. „Genug Geld durch
staatliche Hilfen wie Hartz4, Sozialhilfe und natürlich Kindergeld sind gegeben.
Allerdings werden diese Hilfen manchmal nicht in Anspruch genommen
und wenn doch, kommt davon nicht viel bei den Kindern an“, beklagt sie die
Situation der Kinder. Viel kritischer sieht Rönnefahrt die Bildungsarmut der
Kinder, da diese deren Zukunft gefährdet. „Bei einigen der Kinder, die das erste
Mal in die Sonnenblume kommen, sind Sprach-, Lese- und Rechenkompetenzen
teilweise katastrophal“, erzählt sie. Genau da setzt der Verein mit
seiner Arbeit an. „Wir fördern die Kinder und bieten ihnen eine Perspektive,
ermutigen und aktivieren sie, sodass sie sich später selbst aus dem Teufelskreis
der Armut befreien können.“ Laut Rönnefahrt sollte das eigentlich auch
die Aufgabe der Schulen sein, doch scheinen diese, aufgrund des in Bremerhaven
vorherrschenden Lehrermangels, dem nicht nachkommen zu können.
In Bremerhaven fehlen in diesem Schuljahr nach Angaben des Schulamtes
Bremerhaven 40 Lehrkräfte. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
geht allerdings von einem weitaus größeren Bedarf in Höhe von 100
Lehrkräften aus und bezieht sich dabei auf die Ankündigung im Koalitionsvertrag
der neuen Landesregierung, eine Unterrichtsversorgung von 105 %
herstellen zu wollen. Dieser Mangel an Lehrerinnen und Lehrern führt zu
Einschränkungen im Schulbetrieb. Für die Grundschulen beispielsweise
weist die amtliche Statistik bei Lehrkräften einen Anteil von 8,9 % an Fehltagen
aus Krankheitsgründen aus. Dennoch fallen nur 0,2 % der Unterrichtsstunden
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tatsächlich aus, berichtet Bernd Winkelmann, Vorstandssprecher
der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bremen (GEW). Dies gelingt,
indem Lehrkräfte vertreten, eine zweite Lerngruppe gleichzeitig unterweisen
oder Betreuungskräfte einspringen. Allerdings kommt dabei die Frage
auf, ob derartige Maßnahmen den regulären Unterricht auch wirklich ersetzen
können. „Insofern ist das Ziel einer Lehrerversorgung von 105 % absolut
notwendig und berechtigt, damit bei möglichen Ausfällen genügend Spielraum
für Vertretungen besteht“, fügt er hinzu.
Die Unterrichtsausfälle sorgen wiederum für Lerndefizite bei den Kindern.
Das ist fatal, denn „die ersten Schuljahre sind extrem wichtig. Lesen, Schreiben,
Rechnen und auch soziale Kompetenzen sind für die Zukunft der
Kinder von tragender Bedeutung. Es kann nicht sein, dass dabei unsere
Jüngsten auf der Strecke bleiben“, sagt Rönnefahrt. Sie fordert die Politik
auf, etwas zu unternehmen und dem schon seit Jahren bestehenden Problem
des Personalmangels in den Schulen endlich etwas entgegenzusetzen.
Laut Winkelmann hat der Lehrkräftemangel mehrere Gründe: „In der Vergangenheit
unterließ es das Kultusministerium, genügend Studienplätze
für Lehrämter einzurichten. Außerdem werden die Lehrkräfte zunehmend
mit Aufgaben belastet, die neben dem Unterricht anfallen. Sie haben
zu wenig Zeit, Fördermaßnahmen für die Kinder zu entwickeln. Das bremische
Schulgesetz schreibt vor, dass sich alle Schulen zu inklusiven Schulen
zu entwickeln haben. In diesem Zusammenhang wurde es versäumt,
genügend Fachpersonal mit entsprechenden Qualifikationen auszubilden.
Hinzu kommt eine insgesamt sehr hohe Arbeitsbelastung. Um dem Mangel
an Lehrkräften entgegenzuwirken, begrüßt Winkelmann zwar den Einsatz
von Quereinsteigern und Quereinsteigerinnen, allerdings muss diesen
gesellschaft
Bilder: Twin Design shutterstock.com ( Junge liest), Banprik shutterstock.com (Hände reichen),
Arm bleibt arm?
Mit Bildung aus der Armut