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Immer mehr Kinder leben in Städten. Momentan
ist jeder dritte Stadtbewohner ein Kind
und das Kinderhilfswerk UNICEF prognostiziert,
das bis 2050 etwa zwei Drittel aller Kinder
in einem städtischen Umfeld aufwachsen
werden. In Bremerhaven sind es mittlerweile
knapp 10.000. Das macht es notwendig, den
Stadtraum auf die kleinen Bewohner abzustimmen.
Eine Investition, die sich lohnt, denn
sich an den Bedürfnissen von Kindern zu orientieren,
sorgt für sichere Straßen, mehr Erholungsräume
und soziale Kontakte – von denen
nicht ausschließlich die kleinen, sondern alle
Bewohner der Stadt profitieren.
Der erfolgreiche dänische Stadtplaner Jan Gehl,
der schon in Kopenhagen, Moskau und New
York wirkte, antwortet in einem Interview mit
dem Wirtschaftsmagazin brandeins, auf die Frage,
woran man die Lebensqualität einer Stadt erkenne:
„Es gibt einen sehr simplen Anhaltspunkt.
Schauen Sie, wie viele Kinder und alte Menschen
auf Straßen und Plätzen unterwegs sind. Das ist
ein ziemlich zuverlässiger Indikator. Eine Stadt
ist nach meiner Definition dann lebenswert,
wenn sie das menschliche Maß respektiert.“ Respekt
für das menschliche Maß bedeutet hier
die Rücksichtnahme auf individuelle Bedürfnisse.
Diese zu erfassen und sie im besten Fall zur
Grundlage für die Gestaltung des öffentlichen
Raums zu machen, stellt eine große Herausforderung
für die Stadtplanung dar. Denn diese
muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit
der Stadtraum zum Lebensraum wird.
Dies äußert sich zum Beispiel in Stadtplanungszielen
wie Barrierefreiheit, die für ältere und/
oder körperlich eingeschränkte Menschen Mobilität
gewährleistet – aber auch in der Schaffung
von Frei- und Erholungsräumen, die gerade
für Kinder so wichtig sind, damit sie sich gesund
entwickeln können. Die Bedürfnisse von Kindern
als Maßstab zu nehmen bedeutet letztendlich,
einen Ort zu schaffen, an dem sie und auch jeder
andere Bürger gerne lebt. „Kinder sind unsere
Zukunft. Ihre Meinung und ihr Wohlfühlen sind
essenziell für die gesamte Lebensqualität einer
Stadt“, fasst der Wiener Architekt Markus Spiegelfeld
im Interview mit Daniela Krautsack für
den Artikel »Kinderfreundliche Stadtplanung«
auf der Homepage des Vereins »Stadtmarketing
Austria« zusammen.
Kinder brauchen Freiräume wie Spielplätze und
Parks, um sich körperlich und geistig zu entwickeln.
Pädagogen beklagen seit Jahren, dass
Kinder in Städten unter motorischen Störungen
und Übergewicht leiden, weil ihnen kaum geeignete
Spielräume im Freien zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus leiden auch soziale Kontakte darunter,
dass Kinder, anstatt im Freien zu spielen,
ihre Zeit allein in ihren Zimmern verbringen.
In der Kinderstudie »Raum für Kinderspiel« des
Deutschen Kinderhilfswerks stellten die Forscher
fest: „Es gibt kaum einen Faktor, der den Alltag
und die Entwicklung von Kindern mehr beeinflusst,
als die räumliche Gestaltung des Wohnumfeldes
und die damit verbundenen Möglichkeiten
zum freien Spiel.“ Durch Befragungen von
Kindern und Eltern kam man zu dem Ergebnis,
dass Kinder aus sehr kinderfreundlichen Stadtteilen
täglich durchschnittlich fast zwei Stunden
alleine ohne Aufsicht draußen spielen, während
Kinder, deren Wohnumfeld weniger Möglichkeiten
bietet, gerade einmal eine Viertelstunde
draußen sind. Im Vergleich haben sie dadurch
weniger soziale Erfahrungen mit Gleichaltrigen,
einen deutlich höheren Medienkonsum
und nutzen seltener organisierte Freizeit- und
Sportangebote.
Um dem entgegenzuwirken und den Kindern
genug Raum zur Entfaltung zu ermöglichen,
bedient sich unter anderen das Bremerhavener
Gartenbauamt der sogenannten Spielleitplanung.
Ihre zentrale Aufgabe ist es „attraktive
Freiräume zum Spielen und Aufenthalt altersgerecht,
anregend, vielfältig, wohnungsnah und
gut erreichbar zu sichern und weiterzuentwickeln“,
sagt Thomas Reinicke, Technischer Leiter
des Gartenbauamtes. Ein wichtiger Aspekt dabei
ist nicht nur, diese Räume zu schaffen, sondern
die Kinder und Jugendlichen an der Planung
und Gestaltung teilhaben zu lassen. Seit
über fünfundzwanzig Jahren macht das Gartenbauamt
gute Erfahrungen mit der Partizipation
von Kindern und Jugendlichen. Stadtteilbezogen
erfasst die Spielleitplanung die Wünsche
und Interessen von Kindern, um Schwerpunkte
zu setzen, die dann in die Planung von Bauvorhaben
einfließen. „Kinder- und Jugendbeteiligung,
so wie sie in Bremerhaven in der Stadtplanung
gelebt wird, ist nicht in vielen Städten
selbstverständlich“, sagt Irene Jatzkowski vom
gesellschaft
In der großen Stadt
Kinderfreundliche Städte schaffen Lebensqualität für alle
Titelbilder: Gartenbauamt Bremerhaven (Kinderfreundliche Stadt), Alexander Penyushkin shutterstock.com (Mutter mit Kind Geldsorgen), Nabu/Christine Kuchem (Nabu-Kindergruppe)