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on des Körpers im Raum, maßgeblich gesteuert
durch den Gleichgewichtssinn. Teilweise zeigen
betroffene Kinder Symptome aus mehreren
Wahrnehmungsbereichen.
Wahrnehmungsstörungen können laut Ziegler
Kirbach in Zusammenhang mit Entwicklungsproblemen,
motorischen, kognitiven oder
sozialen Lernschwierigkeiten und weiteren
Auffälligkeiten stehen. Sie äußern sich in verschiedenen
Symptomen wie zum Beispiel Ungeschicklichkeit,
schlechter Handschrift, unsicherem
Umgang mit Besteck, Problemen beim
Schleifebinden, schlechter Koordination beim
Ballspiel, Schwimmen, Fahrradfahren, Hüpfen
oder Seilspringen. Hierbei handelt es sich um
Bewegungsabfolgen, die von betroffenen Kindern
nur schwer nachvollzogen und nachgemacht
werden können, erklärt er. Neben den bereits
genannten Symptomen, können Kinder bei
einer Integrationsstörung auch unter Ruhelosigkeit,
ängstlichem Verhalten, häufigem Stolpern
oder einer Abwehrhaltung gegenüber Berührungen
leiden.
Die Ursachen für solche Störungen sind vielfältig.
Genetische Veranlagungen für abweichende
Reaktivität, also eine zu geringe oder zu hohe
Sensibilität für Reize, schädliche Einflüsse in
der Schwangerschaft und um die Geburt herum
oder neurologische Schädigungen durch Unfälle,
Infektionen und andere Krankheiten können
ausschlaggebend sein. „Allerdings ist es
schwierig, richtig zu differenzieren“, sagt Ziegler
Kirbach, „ob es sich um eine deutlich gestörte
Aufnahme- und Verarbeitungsmöglichkeit,
also eine sensorische Integrationsstörung handelt
oder ein akuter Mangel an Erfahrung und
Übungsmöglichkeit vorliegt.“ Mangelnde Erfahrungsmöglichkeiten,
Reizarmut oder Deprivation
können Ursache und Symptom einer sensorischen
Integrationsstörung zugleich sein. Daraus
entwickelt sich eine Art Teufelskreis, sodass die
Kinder aus Ängstlichkeit, Sorge vor Misserfolgen
oder anderen Hemmungen keine neuen Erfahrungen
machen. „Wenn nicht genügend alltägliche
sensomotorische Erfahrungen gemacht
werden, gibt es zu wenig Erfolgserlebnisse und
weitere Aktivitäten werden eher vermieden. Immer
weniger positive Erfahrungen werden zu
mehr Unsicherheit führen und das Verhalten negativ
beeinflussen“, sagt Ziegler-Kirbach.
„Umgekehrt können Erfolge motivieren und zu
weiterem Tun mit weiteren neuen Erfahrungen
anregen“, sagt der Kinderarzt und empfiehlt, den
normalen Bewegungs- und Aktivitätsdrang der
Kinder möglichst wenig einzuschränken. Eltern
sollten den Kindern viele eigene Erfahrungen
ermöglichen, besonders in dem Bereich der Bewegung,
da hier viele Sinne mit einbezogen und
miteinander verbunden werden, wie zum Beispiel
Sport aller Art, Tanzen, Ballett oder Trampolinspringen.
Um die visuelle und auditive Sinneswahrnehmung
zu schulen, sind besonders
Musik, Theater und Kunst geeignet und auch der
Umgang mit Tieren ist förderlich.
Diagnostiziert werden die Integrationsstörungen
meist durch Kinder- und Jugendärzte,
speziell durch Neuropädiater und oft durch
Ergotherapeuten, die mithilfe sensorischer Integrations
und Praxietests die Sinnesverarbeitung
der Kinder überprüfen und verbessern. Die
Tests umfassen z.B. spezielle Wahrnehmungsaufgaben,
welche einzelne Sinne der Kinder stimulieren.
Möglichst genaue Beobachtungen der
Eltern aus dem Alltag sind sehr hilfreich. Die Diagnostik
der auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen
(AVWS) erfolgt durch spezialisierte
HNO-Ärzte.
Viele Fördermöglichkeiten bieten sich in Alltagssituationen
an, wie zum Beispiel dem Schleifebinden,
Brotschmieren oder dem Spiel mit
Bauklötzen oder Legos, welche die Augen-Hand-
Koordination, das räumliche Denken und die
feinmotorische Geschicklichkeit fördern. Die auditive
Wahrnehmung wird besonders gut durch
gemeinsames Singen (z.B. in einem Chor) und
beim Spielen eines Musikinstrumentes geschult.
Kinder haben viel Freude beim Kneten von Kuchen
oder Brotteig. Sie fühlen, wie die Konsistenz
sich beim Vermischen der Zutaten verändert
und wieviel Kraft gerade gebraucht wird.
Das übt die haptische Wahrnehmung. Noch intensiver
ist das Fühlen und Gefühl bei Körperkontakt,
beim Streicheln, Bürsten und Massieren.
Jede Aktivität im Alltag, Sport und Bewegungsspiele
fördern ein gutes und sicheres Gefühl für
den eigenen Körper (Eigenwahrnehmung). Die
feinmotorische Genauigkeit kann durch Schreiben,
Malen oder Zeichnen verbessert werden.
Viele solcher Ansätze finden auch in der sensorischen
Integrationstherapie, entwickelt von der
amerikanischen Entwicklungspsychologin Anna
Jean Ayres, Anwendung – und das mit Erfolg. So
zeigen mehrere Studien, welche die österreichische
Ergotherapeutin Elisabeth Söchting in Kooperation
mit dem SpielStudio Kindertherapie
in Wien untersuchte, dass die sensorische Integrationstherapie
einen positiven Effekt auf die Betroffenen
hat. In 13 Studien wurden insgesamt
337 Kindern zwischen drei und zwölf Jahren
mit sensorischen Verarbeitungsstörungen mit
und ohne Autismus untersucht. In 85 Prozent
der Studien wurden positive Effekte, teilweise
mit großen Effektstärken in Bezug auf individualisierte
Alltagsziele, die Motorik, das Ausführen
gezielter Bewegungen und die Aktivitäten des
alltäglichen Lebens sowie das sozio-emotionale
Verhalten und die Minderung von Verhaltensauffälligkeiten
festgestellt. Björn Gerken
shutterstock.com (Erzähl doch mal)
lunamarina Studie Evidenz sensorische Integration
https://www.sensorische-integration.org/app/download/13365192827/2014+soechting+review+si.pdf