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VALENTIN Neue Graphic-Novel zeigt Schrecken des Nationalsozialismus
Wir schreiben das Jahr 1943. Das Deutsche Reich
steht kurz vor dem Zusammenbruch. Bereits ein
großer Teil der einst mächtigen deutschen UBootflotte
wurde durch alliierte Luftangriffe auf
diverse Werften vernichtet. Um dem drohenden
Untergang doch noch zu entgehen und die Flotte
der Marine erneut aufzurüsten, wird ein U-Boot-
Bunker in Bremen Frage errichtet – „Valentin“.
Die gleichnamige Graphic-Novel von Jens Genehr
erzählt die Geschichte der Menschen, deren
Schicksal mit diesem monströsen Bau verbunden
ist und tausende von ihnen das Leben kostete.
Die Geschichte folgt zwei Protagonisten. Auf der
einen Seite dem deutschen Polizisten und Kreisfilmberichterstatter
Johann Seubert, der von der
Marine beauftragt wurde, die Arbeit an dem Bunker
zu dokumentieren, um die Propagandamaschinerie
des Fortschritts der Nationalsozialisten
zu füttern. Auf der anderen Seite wird die
Geschichte von Raymond Portefaix erzählt, der
als 17-jähriger aus Murat in Frankreich in das KZ
Neuengamme verschleppt wurde und später als
Zwangsarbeiter nach Farge gebracht wurde.
Die Graphic-Novel zeigt die katastrophalen Zustände
rund um die Bauarbeiten des Bunkers:
Lange Fußmärsche, schlechte Unterkünfte, mangelhafte
Nahrung und Misshandlungen durch die
Nazis. Wer nicht bereits an diesen Umständen zu
Grunde gegangen ist, schuftete sich zu Tode oder
wurde aus reiner Willkür ermordet – mehr als tausend
Opfer forderte der Bau des Bunkers.
Als Schwerpunkt des Werkes wird die Entmenschlichung
der Arbeiter thematisiert, die in
dieser Form und zu dieser Zeit in allen Teilen des
Deutschen Reiches stattfand. Dabei gelingt es
Genehr, zwischen Misshandlung und Hass genau
das zu zeigen, was den Gefangenen abgesprochen
wird, ihre Menschlichkeit. Er gewährt einen
intimen und schonungslosen Einblick in die Ängste
und Sorgen der Insassen. Seine Grau-Schwarzen
Zeichnungen stellen dabei eine erschreckende
und verstörende Atmosphäre des Grauens
her, die durch verzerrte Gesichter und düstere
Szenerie führt. Kleinere Lichtblicke, wie Momente
der Rebellion und der Solidarität, gehen in der
Flut des Schreckens sofort unter. Die Ausweglosigkeit
der Arbeiter sorgt für niederschmetternde
und verstörende Taten der Verzweiflung. So
tränkt beispielsweise ein Arbeiter eine Nadel in
menschliche Exkremente, nur um sie danach in
die eigene Haut zu treiben und damit eine Entzündung
auszulösen. Solche Selbstverstümmelungen
nehmen die Arbeiter in Kauf, um der todbringenden
Arbeit zu entgehen.
Am Ende bleibt die Frage, ob ein Comic ein angemessenes
Mittel ist, um über eine solch tragische
Geschichte zu berichten. Wird Wahrheit
nicht auf einen bloßen Unterhaltungswert heruntergebrochen
und geht dabei fast gänzlich verloren?
Jens Genehr hat sich für seine Arbeit ausgiebig
mit historischen Quellen auseinandergesetzt
und diese verarbeitet. Auch wenn die Erzählungen
nicht hundertprozentig wahr sind, macht die
Fiktion in Form der Graphic-Novel dieses dunkle
Kapitel der Geschichte für den Leser erfahrbar.
BUCHTIPP
Fotos und Illustrationen: Jens Genehr
Autor und Zeichner Jens Genehr (*1990) Student
an der Hochschule für Künste Bremen und ehrenamtlicher
Mitarbeiter am Denkort Bunker Valentin
VALENTIN VON JENS GENEHR
Golden Press, Bremen
ISBN: 978-3-9819880-5-5
Donnerstag, 12.03.2020 | Einlass: 19.30 Uhr
COMICPRÄSENTATION MIT AUTOR
UND ZEICHNER JENS GENEHR.
BIBLIOTHEK DER HOCHSCHULE BREMERHAVEN
Kostenlose Eintrittskarten sind u.a. in der Buchhandlung
Hübener erhältlich. Weitere Informationen unter
WWW.HUEBENER.DE/VERANSTALTUNGEN