
Ich erinnere mich
Von George B. Miller
… nicht oft (und schon gar nicht chronologisch), aber wenn, dann
gern … an die Zeiten im Nebel auf der Leiter nach oben, die ich immer
erst später richtig genießen konnte, wenn die Sicht klarer wurde.
über den Transport schwerer Gerätschaften
Ich über mich: Passionierter Zwilling mit Visionen,
guter Laune zu jeder Gelegenheit,
geerdeter Naturverbundenheit, Adrenalin
mit integrierter Endlosschleife, Schweigen
ohne sonderbare Nebeneffekte mit kollektivem
Gleichklang, Cashmere & Camouflage?
Nein, so sehen mich lediglich die Anderen
in den Tagen faltenloser Jugend. Jeder,
den ich gar nicht kenne, hat ein vorgefertigtes
Bild von mir. Das beginnt schon bei Aufnahmen
für Bandfotos. Alle stehen breitbeinig
da, kreuzen die Arme vor der Brust. Ich
lass alles hängen, kreuze die Beine, und vermittle
Ballerina
den gelassenen Ausdruck einer direkt nach ihrem Pas de deux.
Damals bin ich schon alt genug, um es besser
zu wissen, allerdings zu jung, dass es
mich einen Scheiß interessiert. Damals hab
ich mich auch verpisst, wenn es darum ging,
die Hammond T 100 unseres Tastenmannes
von der Straße die enge, kurvige Treppe
vom Bühneneingang runter zur Bühne der
„Lila Eule“ zu schleppen. Das „T“ steht zwar
nicht für Tonne, 100 Kilogramm hat sie aber.
Wem das zu wenig erscheint, zwei Zentner
klingt mächtiger. Da, wo ich mich unsichtbar
machen will, treffe ich auf Gleichgesinnte.
Heute sind viele Keyboarder kompakter
als ihre Instrumente, womit ich lediglich sagen
möchte, die Hersteller haben sich Gedanken
gemacht. Musiker sind eben auch
nur Menschen wie er und sie, und er und sie
wollen gern alt werden aber nicht älter. Entweder
oder beides. Solange du schmerzfrei
bist, musst du auch nicht „aua“ sagen, es sei
denn du möchtest wieder zurück in den Mittelpunkt.
Da wollte ich nie hin, deshalb bin
ich geworden.
ja hintergründiger Schlagzeuger
Als ich mir eines Abends eine miese Influenza
mit Gliederschmerzen und derbem Husten
einfange, weil ich zum Rauchen halb
nackt auf den Balkon geschlichen war, ist
es zu spät, den übermorgigen Gig im niedersächsischen
Iselersheim bei Peter Pülsch abzusagen.
Woher soll die Band so schnell einen
Ersatz bekommen und einarbeiten. Am
Tag X lasse ich mir den Rücken mit Tiger
Balm einreiben und lege einen engen Stützgürtel
um die Hüften. Gegen die Halsschmerzen
und die krächzende Stimme nehme ich
einen heißen Mix aus Apfelessig, Cayenne
Pfeffer und Honig in einer Thermoskanne
mit. Schmeckt gruselig, sorgt aber vorübergehend
für eine recht klare Stimme. Anfang
der 70er Jahre haben wir uns alle noch strikt
an die probaten Ratschläge unserer Mütter
und Omis gehalten.
Das erste Set ist fast vorbei, es ist tierisch
heiß auf der Bühne durch die vielen Strahler,
und ich beuge mich ächzend zur Flasche auf
dem Boden, weil das Lied dran ist, das ich
singen soll. Durch die Bewegung nach unten
hat der Gürtel sich gelockert. Schweiß
rinnt den Rücken runter bis in den Gesäßschacht,
vermischt sich mit dem Tiger Balm
just in dem Moment, als ich zum dezenten
Mundvoll ansetzen will. Das stechende Überraschungsmoment
dieser zündenden Situation,
unsichtbare Flammen von unten bis
oben, im Handumdrehen brennen 1.000 Feuer,
lassen Tränen über das glühende Gesicht
laufen und mich heftig nach Luft schnappen.
Aus dem angedachten kleinen Schluck wird
vor Schreck ein tiefer Zug. Noch nie soll ich
„Sea Cruise“ von Johnny Rivers (uih, Baby,
uih) mit so viel Inbrunst interpretiert und getrommelt
haben. Ich hingegen glaube, noch
nie wurde ein Song mit so viel Hingabe zerstör
t. Ich hätte mich am liebsten in der Hall
of Shame versteckt. Meine ekstatischen Zuckungen
müssen die Menschen da unten
aber auf eine ganz andere Fährte geschickt
haben. Donnerapplaus. Ende der Diskussion.
There‘s no business like show business.
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