
Ein Virus tötet seinen Wirt in der Regel
nicht. Denn wenn es das umfassend täte,
würde es seinen Wirt umbringen und damit
auch selbst aussterben. Viren brauchen
Wirte. Soweit so klar. Aber Wirte brauchen
offenbar auch Viren. Milliarden von ihnen
wohnen in unserem Körper und im Laufe der
Evolution haben Viren und Wirte sogar genetische
Informationen voneinander übernommen.
Wir haben unsere Evolution gemeinsam
durchlaufen und uns immer wieder aneinander
angepasst.
Einigen Virenarten, die in uns existieren, können
wir bis heute keine krankmachende Wirkung
zuordnen. Sie sind offenbar einfach da
(beispielsweise die Familie der Anelloviridae).
Oder doch nicht? Bekannt ist, dass die Zahl
dieser Viren dann steigt, wenn das menschliche
Immunsystem geschwächt ist. Einige Forscher
sehen darin den Hinweis, dass diese Viren
so etwas wie Trainingsobjekte für unser
Immunsystem sein können. Es tötet offenbar
nicht alle von ihnen, aber hält sie in Schach.
Verändert sich das Virus, passt sich das Immunsystem
mit seiner Antwort an.
Andere Viren, denen wir jedes Jahr in großer
Zahl begegnen, können unterschiedliche Erkrankungen
auslösen. Die Coronaviren sind eine
alte und bekannte Gruppe von Erregern. Ihnen
werden beim immungesunden Menschen
vor allem leichte Erkältungskrankheiten zugeschrieben.
Auch diese Erreger, mit ihnen auch
das SARS-CoV-2 Virus, sind Trainingspartner
für unser Immunsystem. An ihnen bilden wir
die Fähigkeit, derartige Erreger erfolgreich
bekämpfen zu können, immer weiter aus. Wir
brauchen Viren dringend zum Überleben, weil
nur durch die regelmäßige Begegnung mit den
Erregern die funktionelle und stoffliche Kompetenz
des Immunsystems gebildet werden
kann. Dass der Virenkontakt für unsere Gesundheit
wichtig ist, belegt auch die Beobachtung,
dass die Immunisierung nach einer Erkrankung
in der Regel besser ist, als nach einer
Impfung.
Und besser noch: Eine Immunität gegenüber
beispielsweise einem Corona-Typ kann eine
Kreuz-Immunität gegenüber einem anderen
Corona-Virus mit sich bringen. Das bedeutet:
Wenn ein Mensch oftmals durch Coronaviren
ausgelöste Erkältungen hatte, wird er auch gegen
Infektionen mit neuen Varianten des Erregers
vorbereitet sein und damit schneller zu
einer erfolgreichen Immunantwort kommen.
Selbst virusbedingte Erkrankungen halten uns
also auch gesund.
Ist das Immunsystem geschwächt, beispielsweise
durch Vorerkrankungen oder Altersfaktoren,
können Viren durchaus Krankheitsverläufe
auslösen, die zu starken Komplikationen,
Organversagen und schließlich auch zum Tod
führen können. Die jährlichen Grippewellen
zeigen sehr deutlich, dass immer wieder geschwächte
Menschen mit Grippe-Symptomen
oder begleitenden Infektionen – beispielsweise
bakteriellen Lungenerkrankungen, die
sich die Situation zunutze machen – versterben
können. Die Zahl der saisonalen Opfer von
Infektionen mit Influenza und möglichen anderen
Erregern von Atemwegserkrankungen
schwanken deutlich. Sie reichen von 10.000
bis fast 30.000 Toten pro Jahr in Deutschland.
Ist der menschliche Körper in Balance, kann
er mit den meisten Viren sehr gut fertig werden.
Ist er geschwächt, können sich Viren besser
vermehren und entsprechende Symptome
auslösen. Ein bekanntes Virus, das bei 85 Prozent
der Menschen zu finden ist, ist das Herpes
Simplex Virus vom Typ 1. Es kann beim
Menschen Bläschen auslösen, die sich vor allem
an der Lippe bemerkbar machen. In den
Bläschen findet sich eine virushaltige Flüssigkeit.
Viele Träger des Herpes Simplex 1 haben
nie entsprechende Symptome, andere entwickeln
sie bei Fieber, Stress oder Sonnenstrahlen
(UV).
Herpes-Viren bleiben unser Leben lang in unserem
Körper. Sie existieren in unseren Nervenzellen
und tauchen dann wieder auf, wenn
die Gelegenheit günstig ist – wenn unser Im-
Foto: Ustyna Shevchuk/shutterstock.com
Du bist
nie allein
Warum Viren und Bakterien
(vor allem) unsere Freunde sind
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