
gesellschaft
Die Lüge der digitalen Bildung
Warum die Digitalisierung Schülern schaden kann
Von Thomas Paulwitz
„Digital first – Bedenken second“, so denglisch
zog die FDP 2017 in den Bundestagswahlkampf.
Bedenkenlos treiben Politik und Wirtschaft
derzeit eine Entwicklung voran, deren
schädliche Auswirkungen meist unterschätzt
werden. »Digitalisierung« heißt das Zauberwort.
Gerade im Bildungswesen wird mit Hilfe
des Einsatzes von möglichst viel Elektronik ein
neues Lernzeitalter heraufbeschworen.
Doch was immer du tust, handle klug und bedenke
das Ende, möchte man blinden Fortschrittsgläubigen
entgegenrufen. Einen solchen Ruf
haben jetzt die beiden Autoren Gerald Lembke
und Ingo Leipner mit ihrem Buch »Die Lüge der
digitalen Bildung« erhört und den Bedenken eine
gewichtige Stimme gegeben. Die beiden sind
keine Modernisierungsverweigerer, ganz im Gegenteil.
Professor Lembke berät Unternehmen
und Organisationen, wie sie Digitalisierung gewinnbringend
einsetzen können. Diplom-Volkswirt
Ingo Leipner ist Berater für Veröffentlichungen
im Netz.
Eltern schulpflichtiger Kinder können die Vorboten
der Digitalisierung aus eigener Anschauung
erleben. Alles fing damit an, daß die Schulbücher
im Laufe der Jahre immer schwerer wurden.
Bereits Grundschüler schleppen eine Last in die
Schule, deren Gewicht zu ihrer Körpergröße in
keinem Verhältnis steht. Die Schulbuchverlage
blähten ihre Lehrwerke mit zu vielen Bildern und
zu vielen Texten auf. Damit entsprechen sie zwar
den Vorgaben praxisferner Lehrplanentwickler,
die sie auch zum Teil selbst mit beeinflussen. Aus
Zeitgründen wird nur ein kleiner Teil des Bücherinhalts
überhaupt im Unterricht behandelt. Zudem
behelfen sich die Lehrer mit zahllosen zusätzlichen
Arbeitsblättern.
Ist das
»Kreidezeitalter« vorbei?
Es gibt Schulen, welche deswegen sogar dazu
übergingen, in manchen Fächern zwei Klassensätze
bereitzuhalten: einen, der zu Hause verbleibt,
und einen, der in der Schule lagert. Da
dieses Luxusangebot zwar die Verlage freut, aber
auf Dauer zu teuer ist, wird als Lösung der erste
Schritt der Digitalisierung angepriesen: Das
Buch verbleibt in der Schule, während es zu Hause
über das Internet eingesehen werden kann.
Doch zum einen sind nicht alle Eltern einverstanden,
wenn das Kind zu Hause schon in frühen
Jahren am Rechner hängt, zum anderen gibt es
durchaus ärmere Familien, die zwar über das Mobiltelefon
ins Internet gehen können, aber keinen
Arbeitsplatzrechner zu Hause besitzen.
Der nächste Schritt der Digitalisierung ist dann
die gänzliche Abschaffung von Büchern, Tafeln
und Kreiden. Das »Kreidezeitalter« sei nun vorbei,
heißt es. Viele versprechen sich davon Nutzen.
Landesregierungen glauben, Geld einsparen
zu können. Schulbuchverlage erhoffen sich über
Abonnements fortlaufende und damit planbare,
regelmäßige Einkünfte. Die Hersteller von Geräten
und Programmen versprechen sich über Verkauf
und Wartung ein gutes Geschäft. Somit gibt
es eine breite Interessengemeinschaft für Digitalisierung
an den Schulen. Entsprechend stark
werben Politiker, Verlage und Hersteller dafür.
Erfolgreicher lernen
mit digitalen Medien?
Doch wenn es um die Bildung junger Menschen
geht, muß an erster Stelle der Lernerfolg das Maß
der Dinge sein. Erst an zweiter Stelle folgen dann
die Mittel, wie das zu erreichen ist. Das kann unter
Umständen auch mit Hilfe digitaler Lernmittel
geschehen. Eine Untersuchung der OECD kam
2015 jedoch zu dem Ergebnis, daß in den Ländern,
die im Bildungsbereich viel Geld in die Informations
und Kommunikationstechnik stecken,
„keine nennenswerten Verbesserungen in
der Schülerleistung in Lesen, Mathematik oder
Naturwissenschaften“ festzustellen sind.
Das Lernen mit elektronischen Hilfsmitteln kann
sogar schädlich sein. Dies jedoch verschweigen
die Verfechter der Digitalisierung, welche die Zukunft
in den schönsten Farben ausmalen. So ent-
48
www.laufpass.com/Familie Grafiken: GoodStudio shutterstock.com, PR Archiv Redline-Verlag (Buchcover)