oder ob der Neid des Gesundheitsministers
eine Rolle spielte, dessen Lebensabschnittsgefährte
in New York lebt und
deshalb im Coronakrieg nur per Internet
mit ihm kommunizieren darf und der mangels
eigener Gelegenheit nun auch anderen
Leuten den Sex vermiesen möchte,
ist nicht bekannt. Bisher gelten diese Vorschriften
nur für bezahlte sexuelle Dienstleistungen;
dass die „Infektionsgefahr“
bei jedem Sexualkontakt mit Personen,
die nicht demselben Haushalt angehören,
ebenso hoch ist wie im Bordell, wird den
Herren aber auch noch auffallen.
Wer plötzlich so viel bewegen kann und
so viel Macht über das Leben anderer
Menschen ausüben darf, der spürt sich
endlich selbst und kann endlich glauben,
wichtig zu sein. Dieses berauschende
Machtgefühl stellt sich nicht nur ein,
wenn jeder Provinzgeneral in seinem
Operationsgebiet seine eigenen Gesetze
erlassen kann, gern auch ganz andere
als der Befehlshaber der Nachbarprovinz;
mächtig, und zudem von der Verantwortung
für die Folgen des eigenen Tuns entlastet
ist man auch, wenn man die überraschenden
Anweisungen der obersten
Heeresleitung unvorbereitet umzusetzen
hat, wie der Kieler Ministerpräsident im
Falle der Schulschließungen7.
Überhaupt ist die unbeschränkte Macht
am schönsten, wenn man im Falle des
Schiefgehens hinterher sagen kann, man
habe ja nur Befehlen gehorchen müssen
und sei deshalb für nichts verantwortlich.
Die Älteren unter uns erinnern sich, wie
lästig in unserer Jugendzeit die Kriegserzählungen
der damaligen alten Männer
waren und wie euphorisch sie von ihrer
Kriegszeit erzählten; die Kriegsopfer,
wenn sie denn überlebt hatten, schwiegen
lieber. Die nächste Generation von
Jugendlichen wird die verklärten Gesichter
hassen lernen, mit denen ihre Großelterngeneration,
die heutigen Entscheider
und Entscheiderinnen, von ihrem Beitrag
zur Rettung der Menschheit durch
den Coronakrieg schwadronieren werden,
während die Jugend die Scherben
des Krieges zu kitten und die Kosten über
Jahrzehnte abzuzahlen hat.
Die Linke tut,
was zu erwarten war
Am Anfang des Ersten Weltkrieges stand
der berühmte Ausspruch von Kaiser Wilhelm
II.: „Ich kenne keine Parteien mehr,
ich kenne nur noch Deutsche.“ Auch im
Coronakrieg gibt es keine Parteien mehr.
In der Provinz sieht das so aus, dass
die örtlich zuständige Bundestagsabgeordnete
der Grünen gemeinsam mit ihren
Kollegen von CDU und SPD und ihrer
Kollegin von der Linken eine Presseerklärung8
veröffentlicht, in der sie die Bevölkerung
zur Folgsamkeit aufruft:
„Wir werben ausdrücklich dafür, sich über
das Bundesgesundheitsministerium oder
das Robert Koch-Institut über das Coronavirus
zu informieren. Gerüchte oder Informationen
aus unseriösen Quellen sollten
nicht beachtet werden.“
Die Analogie zu Kaiser Wilhelms Krieg
macht auch eine Erscheinung verständlicher,
die viele Menschen in Ratlosigkeit
und Verzweiflung gestürzt hat: die
praktisch totale Abwesenheit einer linken
Opposition zum Coronafeldzug, das
komplette Einschwenken linker Organisationen
und Publikationen und nahezu
der gesamten linken oder linksliberalen
Intelligenz auf die Linie eines Krieges, der
doch ganz offensichtlich abzulehnen gewesen
wäre.
1914 war „die Linke“ praktisch identisch
mit der Sozialdemokratie, die ihrerseits
eine sehr große und inhaltlich und organisatorisch
breite Bewegung war. Zum
sozialdemokratischen Grundwissen der
Vorkriegszeit gehörten der Internationalismus,
der Antimilitarismus und das Bewusstsein,
dass der feindliche Gegensatz
zwischen der Arbeiterklasse aller Länder
einerseits und den verschiedenen nationalen
Bourgeoisien andererseits verlief,
nicht zwischen der Arbeiterklasse
Deutschlands und der Arbeiterklasse
Frankreichs und so weiter. Mit Kriegsbeginn
war alles vergessen, Karl Liebknecht
stand mit seiner Ablehnung der Kriegskredite
in der SPD-Fraktion allein.
Die Linke war, damals wie heute, in ihren
politischen Vorstellungen und Forderungen
staatsfixiert, und ihre Funktionäre
streb(t)en insgeheim oder offen Pöstchen
im Staatsapparat an. Sozialismus,
das hohe Ziel, erwies sich für die Sozialdemokratie
dann ja auch in der „Revolution“
1918 als der bloße Wunsch, die
monarchistischen und bürgerlichen Regierungsfunktionäre
durch sozialdemokratische
Genossen zu ersetzen, ohne in
Staat und Gesellschaft wesentliche Veränderungen
auch nur zu versuchen.
Der Staat hatte der Linken zwar durch die
Sozialistengesetze gezeigt, was er von ihr
hielt, aber die Sozialdemokratie glaubte
unerschütterlich und zunehmend an
ebendiesen Staat, trotz aller verbalradikalen
Auslassungen. So ist es wohl auch
heute: Wenn der Staat den Kriegszustand
ausruft, sich und sein Volk als in schwerer
Not befindlich deklariert, dann darf
diese Linke nicht beiseitestehen, sondern
muss alle Kritik hintanstellen und
mit in den Krieg ziehen.
Kritik an den Machenschaften der Pharmaindustrie
und der von ihr abhängigen
Medizin, Kritik an der stetigen Einschränkung
demokratischer Grundrechte und
dem Ausbau staatlicher Überwachung
et cetera, allesamt Grundbestandteile
linker Identität, müssen eben zurückgestellt
werden in der Stunde der höchsten
Not des Staates. Und wenn der Staat
die Stunde der höchsten Not deklariert,
dann wären kritischen Fragen nach der
Berechtigung dieser Kriegserklärung nur
Verrat. So erleben wir im Coronakrieg
mit dem kompletten Versagen der Linken
eigentlich nur eine Erscheinung, die
wir seit mehr als 100 Jahren kennen und
deren Wiederkehr zu erwarten war.
Es wäre interessant zu untersuchen
(überschreitet aber meine historischen
Kenntnisse), ob nicht auch 1918 und in
den folgenden Jahren das Versagen der
Linken im Krieg dazu beitrug, unzufriedene
und orientierungslose Bevölkerungsschichten
in die Arme rechter Gruppierungen
zu treiben, so wie heute rechtsradikale
und faschistische Gruppen nicht
ohne Erfolg versuchen, in der spontanen
Opposition gegen den Coronakrieg Boden
zu gewinnen und in das Vakuum zu
stoßen, das das Versagen der Linken hinterlassen
hat.
Intellektuelle im Kriegszustand
Ähnliches gilt für die linksliberalen Intellektuellen.
Ihre Vorfahren, die akademische
Jugend 1914, waren zwar meist
nicht „links“, hatten aber in der Jugendbewegung
ebenso schwärmerische und
utopische Ideen verfolgt wie die Studenten
der 68er und 1970er-Jahre. 1914
waren sie begeistert davon, dass endlich
Krieg war. Im Unterschied zu heute
meldeten sich Studenten und Gymnasiasten,
mitunter klassenweise, freiwillig
an die Front und starben als unerfahrene
Soldaten schnell. Heute ist die linksliberale
Intelligenz weniger von Studenten im
jugendlichen Überschwang geprägt, sondern
vom arrivierten akademischen Mittelstand.
Da beschränkt man sich auf die
Propaganda und überlässt die Nachteile
des Krieges lieber den Unterschichten.
104