wie wir darüber sprechen. Wir erleben
seit Monaten tagtäglich, dass Menschen
öffentlich diffamiert werden. Glaubst Du,
das ginge spurlos an Dir vorbei?
Das sind keine freundschaftlichen Scherze,
keine Frotzeleien. Oft sind es hasserfüllte
Angriffe. Entschiedene Abgrenzungen.
Unmenschliche Forderungen. Rufmorde.
Was ehemals hieß,
sich politisch
auszutauschen,
ist nunmehr zum
Gesinnungskrieg
geworden, in dem
nicht mit leeren
Worthülsen,
sondern scharf
geschossen wird.
Dabei stehen hinter all den Bedürfnissen,
die dort oben aufgelistet sind, Ängste
und Sorgen. Der Wunsch nach Ruhe?
Dahinter steht ein Alltag im Stress. Der
Wunsch nach einem Wiedersehen? Die
gespürte Entfernung. Finanzielle Sicherheit?
Geldsorgen. Soziale Sicherheit?
Abstiegsangst. Unbeschwerte Gesellschaft?
Auflagen, Misstrauen, Denunzierungen.
Bewegungsfreiheit? Quarantäne.
Das Bedürfnis, frei zu atmen? Die Maske.
Der Wunsch, ungehindert zu sprechen?
Die Maske. Das Verlangen, gesehen
zu werden? Die Maske. Zusammenhalt?
Spaltung.
Ich selbst habe lange gebraucht, um
mir diese Empfindungen einzugestehen.
Schließlich ist ein global auftretendes,
neues Virus allemal beunruhigend. Die
Faktenlage kann zwar ganz anders aussehen
– aber wenn diese Unruhe durch
alarmistische Tagesartikel mit halbgarem
Informationsgehalt zur bevölkerungsweiten
Panik aufgestachelt wird,
ist es schnell dahin mit der Besonnenheit.
Gleichzeitig werden wir bei unserer Moral
gepackt: Wer die Maske nicht aufsetzt,
wer keinen Abstand hält, der ist automatisch
unsolidarisch. Das darf eine Gesellschaft
doch nicht tolerieren. Schon ist es
vorbei mit der Toleranz, vorbei mit dem
Austausch, vorbei mit der Demokratie.
AARON RICHTER, Jahrgang 1998, ist Student und
Freigeist. Weil sich an heutigen Universitäten beides nicht immer
verträgt, setzt er sich mit jugendlich-frechem Scharfsinn für politische
Verständigung ein. Er ist ein neugieriger Zeitgenosse, der sich
ungern einschränken lässt, und außerdem der Untätigkeit unseres
Polit-Apparates sowie medialer Halbwahrheiten überdrüssig. Sein
Engagement bei Rubikon gilt der Kultivierung eines humanistischen
Miteinanders, eines wahrhaftigen Diskurses und einer lebenswerten
Umwelt. Er ist Leiter der Rubikon-Jugendredaktion und schreibt für die
Kolumne „Junge Federn“. Kontakt: jugend@rubikon.news
Deutlich sichtbar wird das an der Rohheit,
mit der sich Kritiker der Maßnahmen und
deren Befürworter mittlerweile begegnen.
Da ist es noch vergleichsweise nett,
wenn die einen die anderen als „Schlafschafe“
bezeichnen – und die wiederum
„Verschwörungsideologen“ zurückrufen.
Beides bringt niemanden weiter.
Wie heftig das werden kann, wurde im
digitalen Echo auf die Grundrechte-Demonstration
am 1. August 2020 in Berlin
erschreckend deutlich: Die SPD-Vorsitzende
Saskia Esken bezeichnete hunderttausende
Demonstranten pauschal
als „Covidioten“ und legte damit den
Grundstein für die viel hässlicheren Kommentare,
die sich dann unter ihrem Twitterpost
ansammelten.
Warum mich das so berührt? Dazu möchte
ich eine Passage zitieren aus Harald
Wiesendangers Artikel „Früchte des
Zorns“1 . Er hat einige der Kommentare
aufgelistet, die unter Eskens Post veröffentlicht
wurden.
Ein Komma-defizitärer „Sushiman“ will alle
Demonstranten „in Turnhallen reinstecken
mit Infizierten und kein Zugang zu
ärztlicher Hilfe bis die aufm Boden rumkrauchen
damit die mal lernen wie gefährlich
das Virus ist". Mathias Hasselmann
fordert, „jedem dieser Asozialen auf Le-
Foto: Melina Cenicero
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