len Erkrankungen, Organschäden und den
Folgen von Unfällen sowie Infektionen, die
sie sich in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern
zuziehen. Dass bei sterbenden
Menschen auch SARS-CoV-2 im Moment
des Todes nachgewiesen werden kann, ist
medizinisch sicher interessant. So lange
aber nicht klar ist, ob und wie Sars-CoV-2
zu einer Krankheit mit Todesfolge führt, ist
es fragwürdig, hier von Corona-Toten zu
sprechen.
Christian Stöcker schreibt: „Dabei verbreitet
Wodarg nachweislich Unsinn: Covid-19 ist
aus einer Reihe von Gründen sowohl ansteckender
als auch tödlicher als eine normale
Grippeepidemie.“
Hier offenbart sich das ganze sprachliche
und fachliche Dilemma des Psychologen
Stöcker. COVID19 ist die von SARS-CoV-2
ausgelöste Erkrankung. Bei der Ansteckung
mit SARS-CoV-2 wird ein Virus übertragen,
keine Krankheit. Es verbreitet sich das Virus,
noch nicht die Krankheit. Und auch eine
Grippeepidemie ist nicht ansteckend.
Eine Epidemie ist das Auftreten einer ansteckenden
Krankheit in einem bestimmten
begrenzten Verbreitungsgebiet. Und eine
Epidemie ist auch per se nicht tödlich
– eine Epidemie beschreibt die Verbreitung
des Erregers und die durch den Erreger
verursachten Erkrankungen. Es gibt Erkrankungen,
die sich in endemischen, epidemischen
oder pandemischen Maßstäben
verbreiten. Je nach Erreger und den Umfeldbedingungen,
sowie persönlichen Gesundheitsvoraussetzungen,
in denen die Menschen
auf den Erreger treffen, führen sie
zu keinen, milden, starken oder schweren
Symptomen/Erkrankungen. Der nachweisliche
Unsinn wohnt bereits in Stöckers Formulierungen.
Satz für Satz. Und seine KollegInnen
tun es ihm gleich.
Das Fehlen eines Bewusstseins von den
korrekten Bezeichnungen ist an sich bereits
ein fürchterliches Indiz für die mangelhafte
wissenschaftliche und journalistische
Durchdringung der Ereignisse. Es zeigt sich
die fehlende Distanz der AutorInnen zu ihren
eigenen Haltungen und Annahmen (Vorurteilen
und Ängsten). Unreflektiert und unter
Außerachtlassung der journalistischen
Sorgfaltspflicht, schwadronieren sie vor
sich hin, wähnen sich „im Recht“ und diskreditieren
ernsthaft forschende und differenziert
denkende Experten. Sie vermeiden
präzise Quellenarbeit und auch die erforderlichen
Quellenangaben. Komplexe Analysen,
die von Fachleuten publiziert werden,
wie jene von Wodarg, Ioannidis, Wittkowski
oder Kuhbandner werden mit einer kaltschnäuzigen
journalistischen Oberflächlichkeit
diskreditiert und in einer nie dagewesenen
Arroganz für falsch erklärt.
Bei ihrer Diffamierung von Experten, die
nicht dem Diktat von Spahn, RKI und Drosten
folgen, weisen die Journalisten beflissen
darauf hin, dass es in vielen Ländern viele
COVID19-Tote gäbe und übersehen das Wesentliche
erneut: das Dilemma der Zählweisen.
Es war von Anfang an bekannt. Zwei
Faktoren prägen die Ergebnisse: Erstens
wurden anfangs auf Geheiß des RKI bis auf
wenige Ausnahmen Verstorbene, die SARSCoV
2 positiv waren, nicht obduziert. Dort,
wo sie obduziert werden, finden die Pathologen
in der Regel eindeutige andere Todesursachen.
Ob der Infekt hier eine beschleunigende
Rolle spielen kann, soll untersucht
werden. Nebenbei: Das RKI hat eingeräumt,
dass alle SARS-CoV-2 positiv getesteten
Menschen, die versterben, in die COVID19-
Todesstatistik aufgenommen werden – unabhängig
von der Todesursache. Zweitens
ist die Meldesystematik in der Welt nicht
einheitlich: In anderen Ländern verzichtet
man gleich ganz auf den Test und meldet
ohne System verstorbene Menschen als
COVID19 Opfer. Oder man verzichtet wie in
Italien darauf zwischen „mit“ und „an“ Corona
gestorben, zu unterscheiden. So betonte
Angelo Borrelli, Leiter Zivilschutz Italien,
auf einer Pressekonferenz am 21. März
2020 explizit: „dass wir alle Verstorbenen
zählen, dass wir nicht unterscheiden zwischen
Corona-Infizierten, die gestorben
sind und denen, die wegen des Coronavirus
gestorben sind.“
Nicht nur bei SPIEGEL online finden sich
zahlreiche Beiträge, denen die nötige analytische
Kraft und sprachliche Genauigkeit
fehlt. Das Phänomen der scheinbar pandemischen
Erblindung der Autoren geht quer
durch die Presselandschaft. Und auch die
Schweizer Neue Zürcher Zeitung (NZZ), deren
Wissenschaftsredaktion bis dato viel
Respekt genoss, hat sich der allgemeinen
Unschärfe hingegeben. Stehen die ersten
beiden der folgenden Sätze noch in Übereinstimmung
mit den vorhandenen Informationen,
bricht nun der dritte Satz wie ein
Fluch über uns herein: „Wie verbreitet das
Virus tatsächlich ist, lässt sich anhand der
bestätigten Fällen allerdings nur schwer beurteilen.
Jedes Land hat ein anderes Test-
Regime. Aussagekräftiger für einen Ländervergleich
ist deshalb die Zahl der Personen,
die an Covid19 verstorben sind.“ Wo
liegt hier das Problem? Das Problem liegt in
zwei Buchstaben: „an“. Denn auch hinsichtlich
der Todesursachendokumentation gibt
es keine vergleichbaren Zahlen in der Welt.
Deshalb kann auch in dem einen Land die
Sterblichkeit viel niedriger sein als in dem
anderen. In vielen Ländern werden Tote ohne
positiven SARS-CoV-2-Test als COVID19-
Tote gemeldet und auch in Deutschland ist
ein SARS-CoV-2 positiver Mensch, der Opfer
eines Verkehrsunfalls wurde, ein COVID19
Opfer. Hier nicht die fehlende Aussagekraft
im Vergleich der Todesfallzahlen
zu erkennen, ist eine schwere Sorgfaltsverletzung.
Dabei weisen andere NZZ-Autoren, allerdings
sind es überwiegend die Gastkommentatoren,
durchaus auf die Probleme hin
(Hato Schmeiser am 24. April 2020): „Die
Anzahl der Infizierten, die Gefährlichkeit der
Krankheit, die tatsächliche Ausbreitung der
Infektion in der Gesellschaft und die Wirksamkeit
von Massnahmen lassen sich ohne
regelmässige Zufallsstichproben kaum bestimmen.
Als Schätzungen, wie viele Personen
in der Bevölkerung tatsächlich infiziert
sind, werden kaum überprüfbare Spannbreiten
genannt, die häufig zwischen der zehn-
und über der zwanzigfachen Zahl der bestätigten
Infizierten liegen. Wenn man annimmt,
dass sich von der in der Schweiz bestätigten
Zahl der Infizierten (27.957 Personen am
22. April 2020, 17 Uhr) auf knapp 500.000
tatsächlich mit dem Virus befallene Personen
schliessen lässt und die 500.000 infizierten
Personen die durchschnittliche Mortalitätsrate
der Schweizer Bevölkerung aufweisen,
versterben aus dieser Gruppe rund
400 Personen pro Monat – nicht wegen des
Coronavirus, sondern mit einer entsprechenden
Infektion.
Dieser Aspekt deutet auf eine zweite Problematik
hin. Der kausale Zusammenhang
zwischen Covid-19 und Todesfall lässt sich
nicht immer leicht herstellen und ist wegen
der in der Regel vorliegenden Vorerkrankungen
fliessend. Es ist darum ohne weitere
Analysen nicht möglich, zwischen Todesfällen
‚mit einer Covid-19-Erkrankung‘ und solchen
‚wegen einer Covid-19-Erkrankung‘ zu
unterscheiden.“
So erscheint auch die NZZ als gespaltenes
Medium: einerseits verzichtet sie weitestgehend
selbst auf eine kritische Datenanalyse
und die Auswertung widersprechender
Positionen, andererseits lässt sie als Gäste
zumindest hin und wieder Vertreter alternativer
Positionen zu Wort kommen und bleibt
so zumindest in Teilen pluralistisch.
Hinsichtlich der tatsächlichen Verbreitung
von SARS-CoV-2 gibt es immer mehr Daten,
die vorliegen oder in der Prüfung sind.
So hat einer der renommiertesten Wissen-
116 www.laufpass.com