dustrieländern liegt trotz dieser Empfehlungen
deutlich höher, und zwar bei 40 % Fett
und 20 % gesättigten Fettsäuren.
Ablagerungen in den Herzkranzgefäßen
(Plaques) enthalten Cholesterin, jedoch ist
das im Blut zirkulierende Cholesterin wirklich
die Ursache für deren Entstehen? Diese
Behauptung, die man „Cholesterinhypothese“
nennt, kam mir von Anfang an sehr simpel
vor. Die Idee der Cholesterinhypothese
wurde geboren, als vor über hundert Jahren
ein russischer Forscher in einem Tierexperiment
Kaninchen große Mengen cholesterinreichen
Futters verabreichte und danach
fettige Ablagerungen in ihren Arterien
feststellte. Massive Fettablagerungen fanden
sich auch in vielen anderen Organen
dieser Tiere, die ja ausschließlich Pflanzenfresser
sind. Natürlich war es absurd, diese
Beobachtungen auf den Menschen zu verallgemeinern.
Dafür spricht, dass seine Beobachtungen
in der Folgezeit nicht an anderen
Tieren (Hunde, Katzen) bestätigt werden
konnten, die keine ausschließlichen
Pflanzenfresser sind.
In den 1960er-Jahren bekam die Diäthypothese
richtigen Aufwind, als Ancell Keys
in den USA in seiner Studie zeigte, dass in
den sieben Ländern (Niederlande, Jugoslawien,
Finnland, Japan, Griechenland, Italien
und Amerika), die er in die Untersuchung
eingeschlossen hatte, eine Beziehung zwischen
der Menge von konsumierten tierischen
Fetten und der Herzinfarkt-Sterblichkeit
bestand.
Heute wissen wir, dass seine Ergebnisse
auf dem simplen Trick beruhten, durch eine
gezielte Auswahl der in die Studie eingeschlossenen
Länder das von ihm gewünschte
Ergebnis zu konstruieren. Nicht
in der Studie vertreten waren Franzosen,
die trotz ihres fettreichen Essens ein niedriges
Herzinfarktrisiko hatten. Auch die Mexikaner
wurden weggelassen, die ebenso viele
tierische Fette verzehrten wie die Finnen,
jedoch siebenmal weniger Herztote aufwiesen.
Unerklärt blieb in seiner Studie auch
die Beobachtung, dass es auf Korfu sechsmal
so viele Herztote gab wie auf Kreta, obwohl
die Bewohner beider griechischer Inseln
die gleichen Essgewohnheiten hatten.
Von Anfang an gab es eine Vielzahl wissenschaftlicher
Hinweise darauf, dass die Diäthypothese
nicht stimmen konnte. Der ostafrikanische
Stamm der Massai ernährt sich
fast ausschließlich von Milch und Fleisch
und dennoch haben sie einen niedrigen
Cholesterinspiegel und bekommen keine
Herzinfarkte. Die Diät der Bewohner von
zwei Pazifikinseln besteht zu 50% aus gesättigten
Fettsäuren in Form von Kokosöl,
und dennoch sind bei ihnen Herzinfarkte
unbekannt, und dies trotz eines relativ hohen
Cholesterinwertes von 240 mg/dl.
Zwischen 1955 und 2006 wurden 18 Diätstudien
publiziert, die den Effekt einer tierfettarmen
Diät auf die Sterblichkeit untersuchten.
Lediglich bei drei Studien konnte
eine Verbesserung der Sterblichkeit gefunden
werden, und zwar nur dann, wenn die
Probanden nicht nur weniger Fett, sondern
auch erhöhte Mengen der schützenden
Omega 3-Fettsäuren zu sich nahmen. Die
wichtigste Studie ist die „Women’s Health
Initiative“, bei der 48.000 Frauen ihren Fettkonsum
auf weniger als 20% der Kalorien
reduzierten. Als Vergleichsgruppe dienten
29.000 Frauen ohne Einschränkungen des
Fettkonsums. Nach acht Jahren zeigten sich
keine positiven Auswirkungen auf das Auftreten
kardiovaskulärer Erkrankungen, obwohl
das LDL-Cholesterin bei den fettarm lebenden
Probandinnen signifikant niedriger war.
Einen weiteren Beweis für die Unwirksamkeit
einer cholesterinarmen Diät liefert eine
amerikanische Studie, die alle Forschungsarbeiten
über die Auswirkungen des Konsums
von Eiern analysiert und Daten von 300.000
Personen beinhaltet. Wie viel Eier gegessen
wurden, hat keinerlei Einfluss auf die Herzinfarktrate.
Personen, die jeden Tag ein Ei oder
mehr verzehrten, haben sogar ein 12% niedrigeres
Schlaganfallrisiko.
Trotz der dürftigen Datenlage, auf denen
die Empfehlungen für eine tierfettarme Diät
basieren, bestehen diese bis heute unverändert
weiter. Neuerdings scheint es jedoch
so zu sein, als schwinge das Pendel
vielleicht in eine entgegengesetzte Richtung.
Könnte es sein, dass eine tierfettarme
Diät nicht nur wirkungslos, sondern sogar
schädlich ist?
Eine fettarme Diät hat nämlich eine Reihe
unerwünschte Effekte, die das kardiovaskuläre
Risiko erhöhen. Eine fettarme Diät
führt zwar zu einer, wenn auch geringen Reduktion
des „schlechten“ LDL-Cholesterinanteils
im Blut, jedoch verringert sich der
Anteil des „guten“ HDL-Cholesterins ebenso,
und dies leider in einem noch stärkerem
Ausmaß, sodass der Quotient LDL/HDL ungünstiger
wird. Dieser Quotient gilt bis heute
als wichtigster Indikator des kardiovaskulären
Risikos.
Ein Gramm Fett liefert dem Körper neun Kilo
Kalorien, ein Gramm Kohlehydrate dagegen
nur vier. Dies bedeutet, dass eine fettarme
Diät zwangsläufig nur mit einer deutlich
erhöhten Zufuhr von Kohlehydraten
kompensiert werden kann, oft in der Form
von Zucker. Dieser negative Effekt wurde
von der Wissenschaft bislang kaum beachtet.
Dabei spielte auch die amerikanische
Zuckerindustrie, darunter auch Coca Cola,
eine Rolle, die über viele Jahre durch Geldzuwendungen
Wissenschaftler dahingehend
beeinflusste, die kardiovaskulären Gefahren
des Zuckerkonsums zu verharmlosen.
Inzwischen gibt es in Deutschland sieben
Millionen Diabetiker (25% mehr als vor 10
Jahren), und die Hälfte der Deutschen ist
übergewichtig. Die Kombination von Übergewicht
und Diabetes ist besonders gefährlich
für das Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen.
Die betroffenen Patienten
haben ein „metabolisches Syndrom“,
das insbesondere durch eine „Insulin-Resistenz“
gekennzeichnet ist. Ihre Muskelzellen
können trotz ausreichender Mengen
Insulin im Blut nicht genügend Zucker
aufnehmen, sodass ihr Blutzucker steigt.
Selbst wenn sie sich fettarm ernähren, produziert
ihre Leber große Mengen an gesättigten
Fettsäuren, darunter besonders Palmitinsäure.
Inzwischen gibt es eine Reihe
von Studien, die belegen, dass Menschen
mit hohen Blutspiegeln von Palmitinsäure
signifikant mehr Herz-Kreislauferkrankungen
bekommen.
Die 2017 erschienene „PURE-Studie“ untersuchte
die Essgewohnheiten von 135.000
Menschen in 18 Ländern anhand von Fragebögen.
Die Forscher konnten zeigen, dass
die Gesamtsterblichkeit bei fettreicher Diät
überraschenderweise niedriger war als
bei fettarmer Kost. Zudem stellten sie fest,
dass höherer Konsum an gesättigten Fettsäuren
mit einem niedrigeren Schlaganfallrisiko
einherging. Eine Kohlenhydratreiche
Ernährung dagegen führte zu einer höheren
Gesamtsterblichkeit.
Trotz der hier dargestellten Argumente, die
eindeutig die Gefahren relativieren, die mit
einer fetthaltigen Ernährung einhergehen,
bezweifle ich, dass sich die Empfehlungen
der Fachgesellschaften in den kommenden
Jahren ändern werden. Das Dogma der gefährlichen
Fette ist einfach zu tief verankert.
Ich hoffe dennoch, dass Sie nach der
Lektüre dieses Beitrags Ihre nächste Bratwurst
– abgesehen vom Aspekt der zu verurteilenden
Massentierhaltung – mit einem
besseren Gewissen genießen können.
Dr. med. Helmut Lange:
Der Autor war von 1991 bis 2020
als Kardiologe in eigener Praxis am
Herzzentrum Links der Weser tätig.
Illustration: Rohn Media GmbH/shutterstock.com
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