Diese Annäherung an das Thema ist
sehr biographisch und wird auf viele
fremd wirken. Meine erste Begegnung damit,
wobei ich den Begriff „Demokratie“
natürlich noch nicht kannte, stammt aus
dem Kindergartenalter. Damals verwüstete
ein Polizeitrupp den Boden vor unserer
Gartenlaube auf der Suche nach dort womöglich
vergrabenen „staatsfeindlichen“
Flugblättern. Mein Vater hatte für sich die
Konsequenz aus Krieg und Faschismus
gezogen, Mitglied der KPD zu werden. Die
Partei war 1956 verboten worden, womit
die BRD das einzige Land in Europa war –
neben den Diktaturen in Spanien und Portugal
– in denen KommunistInnen illegalisiert
waren. Das sollte zwölf Jahre so bleiben,
genau so lange wie in der „NS-Zeit“.
Jetzt wurden Flugblätter gesucht, auf denen
gegen die Spaltung Deutschlands
agitiert wurde und die verboten waren.
Wegen seiner politischen Betätigung wurde
mein Vater zu einer Zuchthausstrafe
von 13 Monaten verurteilt. Er saß ein mit
Schwerverbrechern, ein Besuchsrecht
für uns Kinder gab es nicht. Erst in diesem
Jahr wird eine Ausstellung im Untersuchungsgefängnis
zu den politisch Inhaftierten
der Adenauer-Ära geplant.
Später in der Volksschule erlebte ich eine
Szene, in der mein Vater einen Lehrer
vor der versammelten Klasse davor warnte,
mich erneut zu schlagen. Ich erinnere
mich nicht an den Grund für die Ohrfeige,
weiß aber: Zu dieser Zeit war die Prügelstrafe
in der BRD noch erlaubt. Selbstverständlich
hatte der Vorfall für mich als
Achtjährigen keine politische Bedeutung.
Er hat mich aber sicher geprägt und aufgezeigt:
Was Recht heißt, aber Gewalt ist,
kann nicht gerecht sein, und: Man kann
sich gegen Unrecht zur Wehr setzen. Der
Lehrer hat mich nie wieder angerührt.
Als ich im Gymnasium einer von zwei
Schülern in meiner Klasse war, die nicht
aus dem Bürgertum kamen, erlebte ich
Ähnliches. Es war die Zeit der Schülerbewegung
im Nachklapp zu 1968 und ich
war renitent. Dafür kassierte ich von meinem
Deutschlehrer, einem CDU-Stadtrat,
eine Sechs für einen Aufsatz. Grund: Thema
verfehlt. Ich klagte, gewann und begriff
die Lehre. Die Möglichkeit, sich gegen
Unrecht auch juristisch wehren zu
können, wurde mir ein hohes Gut und
gehört seitdem zu meinem ganz praktischen
Verständnis von Demokratie (wenn
mich damals allerdings ebenso die Frage
nach der Kontinuität der Nazizeit im Beamtenapparat
beschäftigte).
Gegen einen anderen Lehrer hatte ich keine
Chance. Ich war sportlich kein Überflieger
und er mein Klassen- und Sportlehrer.
Neben einer Fünf in Latein war eine
Fünf in Sport versetzungsgefährdend.
Offen formulierte er das auch als Ziel –
als Konsequenz für das Engagement bei
einer Schülerzeitung. Ich konnte die Fünf
in Latein wegbüffeln, und Jahrzehnte später
entschuldigte sich der Lehrer für sein
Vorgehen.
Das Gymnasium hatte mir auch deutlich
gemacht, dass Demokratie und Gerechtigkeit
nicht zuletzt soziale Komponenten
haben. Das machte sich fest an kleinen
Dingen wie den tollen Schulheften, Malkästen
und Füllhaltern der Anderen und
meinen billigen. Oder daran, wie selbstverständlich
beim Winteraufenthalt im
Schullandheim die Mitschüler aus „besseren
Häusern“ eigene Skier und Ausrüstungen
hatten und damit umgehen konnten.
Oder sie mit neuen Schulbüchern
ausgestattet waren, während ich die abgegriffenen
aus der Bibliothek benutzte.
Mindestens zwei Mitschüler wurden fast
bis zum Abitur mitgeschleppt, obwohl jeder
wusste, wie wenig sie dafür geeignet
waren. Einer war ein Freiherr von und zu,
der andere Sohn eines Zwieback-Fabrikanten.
Eine weitere Lehre für mich: Formale
Rechte zu haben, ist das Eine. Man
muss sie sich auch nehmen (können) und
gegebenenfalls erkämpfen.
In den 70ern herrschte die Wehrpflicht
und es gab ein Recht auf Wehrdienstverweigerung.
Dafür aber musste man vor
einem Prüfungsausschuss „Gewissensgründe“
belegen. Bei mir wurden sie in
zwei Instanzen nicht anerkannt. Dummerweise
musste ich also mein Studium
unterbrechen und zur Bundeswehr einrücken.
Auch hier konnte ich viel lernen. Es
gab die Institution von gewählten Vertrauensmännern,
die den Rekruten in kleinen
Dingen den Rücken stärken sollten, eine
Errungenschaft im Gefolge von 1968.
Zweimal kandidierte ich, beide Male wurde
ich kurz vor der Wahl in eine andere
Einheit versetzt.
Der Grund war wohl, dass ich beim regelmäßig
stattfindenden Politunterricht
besseres Faktenwissen hatte als die dazu
verdonnerten Ausbilder und meine Kritik
nicht verbarg. So kam ein Unteroffizier
ordentlich ins Schwitzen, als ich ihn um
eine Begründung bat, warum nach den
kürzlich verabschiedeten Notstandsgesetzen
Truppen eingesetzt werden sollten
gegen streikende Arbeiter oder demonstrierende
Studenten. Solches sprach sich
natürlich herum unter den Vorgesetzten.
Paradoxerweise habe ich in der Bundeswehr
gelernt, dass Aufbegehren im Kleinen
möglich war, lange bevor der Begriff
„ziviler Ungehorsam“ modern wurde. Eine
Zeit lang war es meine Aufgabe, einem
Major täglich irgendwelche Berichte
über den Fahrzeugbestand der Kompanie
zu überbringen. Natürlich gab es
dafür Regeln. Irgendetwas wie „Panzerschütze
Aschmoneit meldet dies und das“
mit Hand an der Mütze zum militärischen
Gruß. Der Major war ein freundlicher älterer
Schreibstubenmensch, der sich bald
nicht mehr daran störte, daß ich ihn ohne
„Männchenbauen“ mit „Guten Morgen,
Herr Major“ begrüßte. Er war es auch,
der mir irgendwann eines der schönsten
Komplimente meines Lebens macht:
„Aschmoneit, Sie sind der absolute Unsoldat!“.
Ich nahm mein Studium wieder auf und
hatte das nächste Demokratie-Problem.
Seit Langem wollte ich Lehrer werden,
doch inzwischen gab es Willy Brandts
„Radikalen-Erlass“. BewerberInnen für
7
von Dr. Artur Aschmoneit