levardjournalismus habe ich viele Journalisten
und Chefredakteure kennengelernt,
die ein echtes Berufsethos hatten, wenn
es um so etwas wie Wahrhaftigkeit oder
umfassende Berichterstattung ging. Eine
eigene Meinung oder Sichtweise hinderte
sie nicht daran, diese aufzugeben, wenn
die Fakten eine andere Sprache sprachen.
Und was alle gemeinsam hatten, war eine
gesunde Portion Misstrauen gegenüber
den Mächtigen und ihren Entscheidungen.
Die „Neuerfindung“ der Informationsquellen,
sei es Twitter, Facebook oder
auch Youtube, zeichnete sich für mich
vor allem durch eine rasante Beschleunigung
der Informationsweitergabe aus,
die leider dem Wahrheitsgehalt und der
sorgfältigen Überprüfung der Information
nicht dienlich war, weshalb sie von mir
eher ignoriert wurden.
Deshalb hielt ich mich noch mehr an
meine mir vertrauten Informationskanäle
und fühlte mich gut informiert. Die ersten
Zweifel kamen mit der Berichterstattung
über den letzten US-Wahlkampf auf
– wie konnten gute Journalisten übersehen,
was mit der amerikanischen Seele
los war? Chancenlos sei er, hieß es noch
in der Nacht in den Sondersendungen –
am nächsten Tag erwachten wir mit einem
Präsidenten Trump als Sieger.
Auch die Klimadebatte verstörte mich
und hinterließ Fragezeichen – warum
wird jedem Weltuntergangsszenario
hinterhergelaufen, jede noch so absurde
Idee zur Weltenrettung durch uns
(Deutschland) glorifiziert, obwohl ihre
Umsetzung durch unser kleines Land
höchstens im niedrigen Promille-Bereich
etwas verändert? Das jahrzehntelange
Vertrauen wurde zwar angezählt, blieb
aber auf seinen Beinen stehen und hatte
in mir nach wie vor eine starke Stimme.
Auch Corona und seine Folgen und die
Medienberichte darüber triggerten bei mir
zuerst die offensichtlichen Punkte – Särge
aus Bergamo, zugeschweißte Türen in
Wuhan, Kühllaster in New York. Ich weiß
ja aus Berufserfahrung, wie Bilder funktionieren,
trotzdem funktionierte es auch
bei mir. Eine Hinterfragung der Berichterstattung
fand erst mal nicht statt, ich ließ
alles rein, was ich an Informationen aus
meinen Quellen bekam, wischte sogar die
Momente weg, wo eigenes Nachdenken in
zweifelnde Situationen führte – weil nicht
sein kann, was nicht sein darf.
Bis zum 29.8.2020
Besuch der Anti-Corona-Demo in Berlin.
Nicht um mit zu demonstrieren, nein,
nicht mit denen, nur um mal zu schauen,
welche „Kranke und Faschos“ da mitlaufen.
Und der erste Eindruck bestätigte gleich
meine Meinung: Vor dem Reichstag stießen
wir auf eine Gruppe von geschätzt
200 Leuten, Rednerpult, Reichskriegsflaggen,
unerträgliches Verschwörungsgelaber.
Keine fünf Minuten zu ertragen,
deshalb weiter zum Brandenburger Tor,
noch mehr Vorurteile bestätigen – was
aber nicht funktionierte!
Das waren keine Faschos oder geistig
verwirrte Typen. Da demonstrierten zum
großen Teil ganz friedlich Familien, Normalbürger,
Friedensgruppen. Ein paar
versprengte Reichskriegsflaggen aber
im Vergleich zu den geschätzt 100.000
Leuten verschwindend bis kaum wahrnehmbar.
Die Mischung war irritierend,
wo demonstrieren schon AFDler und Linke
miteinander oder Gutbürgerliche (man
könnte auch Spießer sagen) mit LGBTAnhängern?
Bei der Abschlusskundgebung an der
„Goldelse“ war ich wieder überrascht
von der Friedlichkeit und Kooperationsbereitschaft
mit der Polizei. Nach jeder
Rede, in denen es viel um eine neue Verfassung
ging und Kritik an der Entmachtung
des Parlaments, wurden die Zuhörer
aufgefordert, die nötigen Abstände wiederherzustellen,
weil sonst die Auflösung
der Veranstaltung drohe – und die Leute
hielten sich brav daran. Das sollten alles
Verschwörungstheoretiker und Verwirrte
– bestenfalls Naive – sein, die sich von
Faschisten instrumentalisieren lassen?
Um 23.15 Uhr gaben mir die Tagesthemen
genau diese Information. „Sturm!“
auf den Reichstag war der Aufmacher.
Was will man damit erreichen, wenn man
dieses geschichtsbelastete Gebäude, das
Adolf Hitler schon für seine Machterweiterung
missbraucht hatte (Reichstagsbrand),
so in die Berichterstattung einzubinden?
Danach wurden die anderen
(zahlenmäßig auf 40.000 reduzierten) sofort
in die Mitverantwortung genommen
(„muss man sich halt überlegen, mit wem
man zusammen demonstriert“), es wurden
latent aggressive Momente gezeigt,
Interviews mit esoterischen Menschen,
die sich vor der Kamera um Kopf und Kragen
redeten, weil sie den Suggestivfragen
von „Profijournalisten“ aufgesessen
waren. Es war alles Mögliche, aber keine
Sekunde die Veranstaltung, die ich miterlebt
hatte.
Ich mag keine Vereinfachungen, ich finde
den Begriff „Lügenpresse“ ziemlich
dumm, aber ich verstehe jetzt, warum
er in der Welt ist. Der Journalismus, wie
ich ihn kannte und wie ich ihn mir immer
noch wünsche, scheint kaum noch zu
existieren. Er scheint ersetzt zu werden
von einer Art Traum, den der „gute“ Journalist
von heute umsetzen möchte (man
könnte auch Ideologie dazu sagen). Was
nicht ins Weltbild passt, wird ignoriert
oder niedergeschrieben.
Neugier auf das, was in der Welt ist, wird
ersetzt durch die eigene, für richtig befundene
Weltsicht, die leider oft der privilegierten
Sicht eines gut situierten Stadtmenschen
entspricht – frei von materiellen
Nöten und Existenzängsten, sitzend
auf dem Schoß der Mächtigen, entfremdet
von dem sogenannten kleinen Mann
auf der Straße.
Kurt Tucholsky rotiert gerade mächtig
in seiner Ruhestätte. Und ich? Ich Versuche,
andere Quellen zu finden, immer
misstrauisch, immer recherchierend, wo
die Information herkommt, wer sich hinter
der Website verbirgt. Versuche, Zahlen
zu interpretieren, Statistiken zu lesen.
Mühsam, zeitraubend, aber auch erhellend
und stärkend.
Doch ich gebe es zu: Lieber wäre mir,
wenn ich das Vertrauen in den Journalismus
nicht verloren hätte. Schade!
Der Autor ist als Fotograf
national und international tätig.
Er ist der Redaktion persönlich
bekannt. Seine Identität schützen
wir, um seine Existenz nicht zu
gefährden.
63