jedoch von den Streitenden völlig unbemerkt
blieb. Ebenfalls unbemerkt blieb,
dass der Schlangenforscher aus ungeklärten
Gründen als einziger ein schnelles
Pferd besaß, welches er behänd besprang,
sich der Diskussion ent- und den
Rückweg vorzog. Die Zurückgebliebene
waren inzwischen übergegangen zu Forderungen
nach evidenzbasierten Studien,
interdisziplinärem Austausch, verbesserten
Verfahren zur Erkennung von Elefanten
und ihrer Verbreitung.
Der Schlangenkundler hingegen war in
Windeseile zum König zurückgekehrt, um
seine Forschungsergebnisse unmittelbar
zu dessen geneigter Kenntnis zu bringen.
In sorgenvoller Erwartung wurde er
empfangen und bekam exklusive Audienz
.
Sie können erahnen, wie alarmiert
der alte König reagierte, als er von einer
riesigen bisher unbekannten Unterart von
Schlangen vernahm. Die Hofberichterstatter
verbreiteten umgehend die furchteinflößenden
Fakten , die sich rasend
schnell in der Bevölkerung verbreiteten.
Schreckliche Bilder wurden angefertigt,
die Todesopfer von Elefantenangriffen
zeigten , Berichte von verstümmelten
Überlebenden und heldenhaften Rettern
im Einsatz wurden von früh bis spät in
jeden Winkel des Reiches getragen.
Schamanen begannen umgehend, Rituale
und Tabus zu lehren, die gegen die
von Elefanten zu erwartenden Gefahren
wappnen sollten. Der König selbst bestätigte
diese als alternativlos und übernahm
höchstpersönlich das Händeklatschen,
mit welchem Elefanten ferngehalten
werden konnten, weil sie es für
Schüsse hielten. Tatsächlich blieb das
Land durch diese Maßnahme verschont.
Das Volk feierte seinen König, der es
so mutig und weise gerettet hatte. Der
Schlangenforscher erhielt den höchsten
Orden des Landes ; er und seine
Mitstreiter wurden verehrt und ihr Wissen
täglich zu Rate gezogen für die Sicherheit
des Volkes , das voller Dankbarkeit
alle neuen Rituale zur Normalität
erhob. Schon bald galt das Händeklatschen
als ein solidarischer Akt, den zu
verweigern niemand sich getraute, dem
sein Leben lieb war . Auch Schutztücher,
mit denen man Elefanten erschrecken
konnte, musste nun jeder mit sich
führen, da die Gefahr erst gebannt sein
würde, wenn ein Gift zur Vernichtung der
Tiere gefunden wäre .
Die Erkenntnisse der erfahrensten
Schlangenforscher wurden von den
Ausrufern Tag für Tag zu jeder Stunde an
jedem Ort im Reich verbreitet, in alarmierenden
Worten und Bildern , damit die
Vorsicht der Menschen nicht nachließe
und sie auch gegenseitig auf einander
aufpassten . Da die Schamanen inzwischen
wussten , dass Elefanten Menschen
meist im Freien anfielen , wurde
angeordnet, dass man seine Hütte nur
in dringenden Angelegenheiten verlassen
dürfe, besonders der von fröhlichem Feiern
verursachte Lärm und Gesang solle
unterbleiben, um die aggressiven Tiere
nicht zu reizen . Kinder durften nur
noch alleine und unter strengster Aufsicht
spielen.
Auf diese Weise hatte sich das Leben im
Lande bereits gravierend verändert, als
nun nach längerer beschwerlicher Reise
auch die restlichen abgehängten Gelehrten
(der Säulengelehrte, der Fächerforscher
und der Rattenkenner) wieder die
Heimat erreichten. Ihr Erschrecken über
die Veränderung, besonders die der Menschen,
war gewaltig, sie kannten ihr Land
kaum wieder. Sich schnellstens Gehör
beim König und seinen Ausrufern zu verschaffen,
war ihr dringendes Bestreben.
Doch wie wurden sie von Entsetzen gepackt,
als sie gewahr wurden, dass man
sie nicht vorsprechen ließ ! So gingen
sie auf die Plätze und Straßen, um ihre
Wahrheit dem Volke zu verkünden. Aber
welch finsteres Erschaudern erfasste sie
dort – sie fanden die Ohren der Menschen
verstopft durch die herrschende
Wahrheit und ihre Herzen verschlossen
von Angst – die Menschen klatschten
nur um so heftiger in die Hände und
wedelten mit ihren allgegenwärtigen Tüchern.
Man bezichtigte die Wissenschaftler
bald, die Existenz von Elefanten zu
leugnen , mehrere von ihnen seien
mit widerwärtigen Stinktieren auf ihrer
Reise gesehen worden und schließlich
seien sie ja alle blind . Besonders
der Schlangen-Kult mit seinem hochdekorierten,
gehuldigten Anführer verwies
auf die Blindheit seiner Kollegen und die
Gefahr, die von ihrem Irrglauben ausging
. Alsbald bemächtigte sich verhängnisvolle
Verzweiflung der verrufenen Gelehrten.
Wie sollten sie bloß ihre Wahrheit
zur Gewissheit aller machen und
das Land von der Angst befreien? Ihre
Schriftrollen schienen nutzlos, ihre Reise
vergebens, ihr Rufen verhasst.
Eine lange dunkle Nacht verbrachten sie
sinnend in einer elfenbeinfarbenen Denk-
Jurte mit bewusstseinserweiternden Getränken
und Rauch-Opfern, dann ward
ein Gedanke geboren:
Die Weisheit eines erfahrenen Eremiten
in den Bergen sei die letzte Chance.
Dessen kundigen Rat einzuholen, begaben
sie sich bei Sonnenaufgang mit ihrem
Blindenhund eilends auf den Weg.
Steil war der Weg und mühselig, doch
am Mittag erreichten sie die Höhle des
weisen Eremiten (m/w/d). Dieser hatte
sie bereits erwartet und Gebäck, Kreide,
Meißel und eine Steintafel bereitgestellt.
Voller Anteilnahme hörte er geduldig ihr
Anliegen, dann versank er in tiefer Meditation.
Vielleicht war er auch eingeschlafen,
jedenfalls schreckte er durch ein
Niesen eines der Gelehrten auf, schritt
zur Tafel und begann entschlossen eine
magische Zeichnung aus Kreisen und
Pfeilen zu fertigen, in deren Mittelpunkt
er zuletzt seine geheimnisvolle Botschaft
meißelte:
„1000 Augen braucht ihr, die sich öffnen,
um geleitet vom stetig fragenden Zweifel
dem Wahren und Guten näher zu kommen.“
Durch die klare Höhenluft frisch
durchgeistigt erkannten die Gelehrten
dies sofort als ihre personalisierte Take-
HomeMessage, als sie sie ertastet hatten.
Sie stopften die restlichen Kekse
und die Kreide des Eremiten in ihre Taschen,
bedankten sich überschwänglich
und liefen so schnell sie ihre Beine trugen
zu Tal. Beflügelt von Hoffnung hatten
sie einen Plan gefasst: Sie wollten aufhören,
mit blinden Augen gebannt auf Elefanten
zu starren. Sie wollten die Menschen
ermutigen, hinzusehen, was geschehen
war mit ihnen und ihrem Land.
Den alten Mut wecken, im Geschehenen
das Gute vom Schlechten und das Wahre
vom Falschen zu unterscheiden Kraft
der Vernunft und des unerschrockenen
Herzens, wie es die Ahnen vor hundert
Jahren schon taten, wieder den forschenden
Zweifel und die Fülle der Alternativen
zu erkennen.
Doch zuvor mussten Tausende von Augen
auf die Verwüstung gerichtet werden,
die nicht von Elefanten stammte!
So riefen sie die gute Fee der Naturwissenschaften
aus einer anderen Dimension
und Zeit an, die eine Spur der Fragen
zu den Zeichen legen sollte, damit
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