Wenn die „aktuelle besondere Situation“ vorbei sein wird, werden Seuchenhistoriker, Epidemiologen, Virologen, Pathologen,
Statistiker, Ökonomen und Juristen anhand der Vergangenheitsdaten die Ereignisse in der Rückschau wieder
aufrollen. Es wird darum gehen, festzustellen, was seit Januar in Deutschland passiert ist. Auf welcher Grundlage
wurden welche Entscheidungen getroffen? Wie verlässlich waren die Daten? Wie zuverlässig waren die Tests? Welche Prognosen haben
sich bewahrheitet, welche nicht? Waren die Einschränkungen der Grundrechte und die Zerstörung weiter Teile der Wirtschaft, der Kultur,
des Sozialen und der körperlichen wie seelischen Gesundheit der Bevölkerung angemessene Reaktionen auf die Ausbreitung von SARSCoV
2? Es wird auch um die Frage gehen, wie das staatliche Kommunizieren und Handeln, insbesondere das vorsätzliche Verursachen einer
panikartigen Angst, sich auf die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger ausgewirkt haben und welchen Anteil die Presseorgane an
der Entwicklung hatten. Wir werden ebenfalls in der Rückschau feststellen, welche Experten zu welchem Zeitpunkt mit ihren Beobachtungen,
eigenen Studien und ihren Bewertungen richtig lagen und welche falsch lagen.
Es wird dann auch die Zeit kommen, in der jede und jeder sich fragen
wird: Wie habe ich reagiert, waren meine Reaktionen angemessen,
was hat die öffentliche Debatte um den Erreger mit mir
und meiner Familie, meinen Freunden gemacht? Als die Parlamente
entmachtet wurden und die Bundes- und Landesregierungen der
Bevölkerung in weiten Teilen die Ausübung wesentlicher Grundrechte
entzog, veränderte sich die Struktur unserer Gesellschaft
– quasi über Nacht.
Die Demokratie – als Gesellschaftsform, in der alle Macht vom Volke
ausgeht – wurde in die Zwangspause geschickt. Der parlamentarische
Diskurs endete und deshalb verstummten auch die Stimmen
der Parteien und wir hörten nur noch die Corona-Kabinette
und ihre Sicht auf die Dinge der Welt und warteten gespannt auf
die neuen Dekrete, mit denen fortan regiert wurde. Mit dem Ende
des Diskurses geschah aber etwas, mit dem niemand gerechnet
hatte: es verschwanden die alternativen Sichtweisen, es gab
nur eine Meinung, die Geltung beanspruchen durfte und die sich
dann auch durchsetzte.
Das Ende der Meinungsvielfalt
Hier zerbrach die Gesellschaft an einer ihrer empfindlichsten Stellen:
Die Meinungsvielfalt der pluralistischen Gesellschaft wurde
durch die Deutungshoheit einer Minderheit ersetzt. Deutungshoheit
hatte hier von einem Tag auf den anderen ein kleiner Zirkel um
Prof. Christian Drosten und das Robert-Koch-Institut (RKI). Es gab
von Anfang an weltweit zahllose renommierte Wissenschaftler, die
andere Interpretationen der Ereignisse und Zahlen anboten. Auch
tausende Ärzte in Deutschland und Europa bewerteten die Lage
durchaus anders. Aber die alternativen Interpretationen fanden
kein Gehör in der Politik und auch nicht in den Medien.
Im Gegenteil. Print, Funk und digitale Plattformen, renommierte
große Tageszeitungen wie Lokalzeitungen, Politmagazine wie Unterhaltungsblättchen,
Staatssender wie private TV- und Radiostationen
übernahmen das „Narrativ“ der Regierung und verbreiteten
es nicht nur ohne Überprüfung der vorgelegten Fakten. Schlimmer
noch: Schier entfesselt produzierten die Verlage und Sendezentralen,
die kleinen wie großen Redaktionen, pathetische Geschichten
rund um die Drohkulisse, die plötzlich das öffentliche Leben in den
Bann schlug und dann alle im Wortsinne gefangen nahm.
Die Aufgabe der Vierten Gewalt, als welche die Presse neben Exekutive,
Legislative und Judikative lange galt, sollte sein, insbesondere
das Handeln staatlicher Instanzen und der Inhaber großer
Macht (Unternehmen, Institutionen wie Kirchen, Parteien und andere
mehr) zu kontrollieren – oder kritisch zu begleiten, um die
Meinungsbildung in der Bevölkerung zu ermöglichen. Der Souverän,
das Volk, soll in die Lage versetzt werden, seinen politischen
Willen auf der Grundlage transparenter Informationen auszuüben.
Dabei hat die Presse keine tatsächliche Gewalt inne. Das
– vielleicht romantische – Ideal einer demokratischen Pressearbeit
als Vierte Gewalt hat dennoch eine bedeutsame Kraft. Es ist eine
Kraft, welche aus einer glaubwürdigen, weil sorgfältigen Arbeit entspringt.
Sie prüft Ereignisse, Behauptungen, Verlautbarungen und
Informationsströme und bietet alternative Sichtweisen an, deckt
Lügen und Komplotte auf, hindert Manipulatoren daran, ihr Werk
ungestört fortzusetzen, verteidigt die auf Meinungspluralismus
gründende Verfassung und fördert den Diskurs der an der Gesellschaft
beteiligten Institutionen und jenen zwischen allen Menschen.
In der Tat wird die Rolle der Presse als Vierte Gewalt zunehmend
infrage gestellt. Pressehäuser sind heute mehr denn je Wirtschaftsunternehmen,
die eine Gewinnerzielungsabsicht haben.
Branchenfremde Investoren kaufen sich Verlage und Fernsehsender,
um Geld zu verdienen oder die Zwecke anderer Unternehmen
zu befördern oder die öffentliche Meinung im eigenen Sinne zu beeinflussen.
Das Ideal einer demokratischen Kontrollinstanz, die die
Mächtigen auf die Finger schaut, wurde in den letzten Jahren geschliffen.
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von Wolfgang Jeschke