den Öffentlichen Dienst mussten ihre Gesinnung
prüfen lassen. In der Folge kam
es zu fast 1,5 Millionen Anfragen bei den
Nachrichtendiensten über sie. Für mehr als
tausend Menschen bedeutete das Berufsverbot.
Unter diesen Bedingungen wollte
ich lieber umsatteln. Brandt bezeichnete
später den „Radikalen-Erlass“, der sich fast
ausschließlich gegen Linke gerichtete hatte,
als Fehler. Seine Reue ist sicher auch
auf den breiten Protest im In- und Ausland
zurückzuführen.
Nach der Uni hatte es mich in die IT verschlagen,
die damals noch EDV hieß. Ich
arbeitete bei einem renommierten Verlag
und schrieb dort Handbücher für die im
Hause entwickelten Computerprogramme.
Später leitete ich ein Projekt zur Einführung
der PC-gestützten Redaktionsarbeit.
Zweimal wurde ich in den Betriebsrat
gewählt. Zum roten Tuch wurde ich, als es
wegen „Umstrukturierungen“ zu einer Entlassungswelle
kommen sollte. Mit vielen
KollegInnen organisierte ich Protestaktionen
auch in der Öffentlichkeit.
Zu dieser Zeit war der Geschäftsführer ein
US-amerikanischer Westpoint-Absolvent,
der von deutschem Mitbestimmungsrecht
nichts wissen wollte. Nun gab es das Problem,
dass zwar meine Abteilung outgesourced
wurde, ich als Betriebsrat aber einen
Kündigungsschutz hatte. Ich wurde einer
„Computersabotage“ bezichtigt und mir
wurde fristlos gekündigt. Der Vorwurf war
völlig haltlos, so dass der Betriebsrat der
Kündigung widersprach. Damit blieb dem
„Arbeitgeber“ nur die Möglichkeit, dessen
Zustimmung von einem Arbeitsgericht ersetzen
zu lassen. Fast drei Jahre dauerten
zwei Arbeitsgerichtsverfahren, bis die Geschäftsführung
klein beigeben musste. Die
Staatsanwaltschaft hatte ein Ermittlungsverfahren
wegen erwiesener Unschuld eingestellt.
Wie es aber in der Regel zugeht im
Arbeitsrecht, wurde das Arbeitsverhältnis
„einvernehmlich“ aufgelöst gegen Zahlung
einer Abfindung. Die ganze Zeit über hatte
das Unternehmen versucht, mich mürbe
zu machen, indem es die Überweisung
meines Gehalts verweigerte und mir nur einen
Betrag in Höhe der Sozialhilfe zahlte.
Dieses neuerliche Lernprogramm, diesmal
in „betrieblicher Demokratie“, hätte ich ohne
die Hilfe meiner Familie, des Betriebsrats
und meiner Gewerkschaft nicht durchgehalten.
So gehörte auch der Begriff „Solidarität“
zum Lernergebnis, nicht nur für
mich persönlich.
Ein weiteres biographisches Beispiel will
ich anführen. Nach rassistischen Anschlägen
auch in meiner Stadt wollte die knallharte
Neonazi-Szene aufmarschieren. Wie
üblich wurden Tausende PolizistInnen aufgeboten,
um sie vor einem Vielfachen an
protestierenden Menschen zu schützen. Es
gab Tausende, die sich an Sitzblockaden
beteiligten, unter anderem meine Tochter,
die einem Aufruf der SchülerInnenvertretungen
gefolgt war. Sie wurde mit mehreren
Dutzend anderen Minderjährigen von
der Polizei eingekesselt und in eine „Gefangenensammelstelle“
in einer anderen
Stadt geschafft. Gegen jegliches Recht
wurden über viele Stunden die Eltern nicht
darüber informiert, einer Rechtsanwältin
gelang es erst in den Nachtstunden, ihren
Aufenthaltsort zu ermitteln. Anstatt die
dafür Verantwortlichen zu belangen, wurden
die Minderjährigen mit Strafverfahren
überzogen.
Zu meinen politischen Erfahrungen gehört
auch dies: Demokratie wird oft in einem
Atemzug mit Menschenrechten genannt.
Vornehmlich sind sie in Ländern gefährdet,
die nicht der NATO angehören. Ich erinnere
mich an die Zeit, in der wir, Menschen aus
katholischen, gewerkschaftlichen und linken
Jugendgruppen die Solidaritätsarbeit
mit den Völkern des südlichen Afrikas begannen.
Wir waren damals eine sehr kleine
Minderheit, die den dortigen Rassismus
thematisierte. Die Bundesregierung hatte
beste Beziehungen zu Südafrika, Mandela
galt als Terrorist und der ANC als Verbrecherorganisation.
Mir zeigt das Beispiel
Zweierlei: Es lohnt ein langer Atem bei politischem
Engagement, wenn sich die Kräfte
vernetzen. Und es gelingt der Propaganda
immer wieder, sich Entwicklungen anzupassen.
Mandela wurde der geschätzte
Staatsmann, mit dem sich alle Welt schmücken
wollte. Ein wenig erinnert das daran,
wie die Vereinigten Staaten nach jedem
noch so großen Verbrechen gefeiert werden
als Musterdemokratie mit Selbstreinigungskräften.
Eine letzte Erinnerung, diesmal an einen
9. September. Und zwar den weitgehend
in die Vergessenheit gedrängten Tag des
Putsches in Chile 1973. An diesem Abend
gab es ein großes Konzert mit chilenischen
KünstlerInnen, die auf der Seite des gewählten
Präsidenten Allende standen. Alle
Anwesenden waren schockiert über die
Information. Empörender als diese von der
CIA maßgeblich unterstützte Militäraktion
waren die ausbleibenden Reaktionen der
Regierenden der westlichen Welt darauf.
Es blieb der DDR und den anderen realsozialistischen
Ländern vorbehalten, Proteste
zu formulieren und den demokratischen
Widerstand zu unterstützen. Der spätere
Kanzlerkandidat der Union, Franz-Josef
Strauß, schrieb damals, dass das Wort
„Ordnung“ für die Chilenen wieder einen
süßen Klang bekomme. Der CDU-Generalsekretär
war der Meinung „Das Leben im
Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm“
und bezog sich damit auf die dort
eingepferchten politischen Gefangenen.
Diese meine ganz persönliche Geschichte
um den Begriff „Demokratie“ lehrt
mich, misstrauisch zu sein, wenn ich ihn
aus den Mündern der Mächtigen vernehme.
Zugleich habe ich gelernt, wie wichtig
es ist, Demokratie in der Praxis zu verteidigen.
Diese Aufgabe kann einem niemand
abnehmen. Gerade in Zeiten von Corona
nicht.
Dr. Artur
Aschmoneit ist
EDV-Experte,
Historiker
und Autor. In
der Corona-
Krise sammelt
er unbeachtete
Informationen
auf seiner eigenen
Plattform
www.corodok.de
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