Die Verwertung des Kapitals erfolgt in
der organisierten Produktion von Gütern
und Dienstleistungen, die nicht wegen ihres
Nutzens produziert werden, sondern
wegen ihrer Profitabilität; hierzu kauft
das Kapital Arbeitskraft an. Der Profit,
so haben wir von Karl Marx und Friedrich
Engels gelernt, beruht auf der Tatsache,
dass die Arbeitskraft wie alle Waren
im Durchschnitt zu ihrem Herstellungspreis
bezahlt wird – also nach der Menge
der Arbeit, die erforderlich ist, um die Arbeitskraft
herzustellen und zu unterhalten
– aber ihrerseits einen Wert schafft,
der größer ist.
Diese Differenz, den „Mehrwert“, eignet
sich das Kapital ganz legal an: Das ist
der Profit, von dem die einzelnen Kapitale
zu ihrem großen Bedauern Teile an den
Staat, an Kreditgeber und so weiter abzugeben
haben. Heutzutage haben sich
die Verhältnisse gegenüber der Zeit von
Marx und Engels verändert; die Vermehrung
von Geld beziehungsweise Kapital
durch rein fiktive Geld- und Spekulationsgeschäfte
– die es schon vor dem Kapitalismus
gab – spielt heute im Verhältnis
zur „realen“ Produktion von Waren und
Dienstleistungen eine erheblich größere
Rolle. Das Kapital muss verwertet werden
und sich dabei vermehren – wenn in
diesem Prozess über weite Strecken gar
nichts produziert wird, stört das offenbar
nicht weiter.
Nun ist Kapitalismus, auch das wissen
wir seit Marx und Engels, nicht ohne wiederkehrende
Krisen denkbar. Die Produktion
von Gütern und Dienstleistungen –
und erst recht die fiktive Ökonomie der
Kapital- und Geldmärkte – werden ja
nicht anhand der voraussichtlichen Bedürfnisse
der Menschen gesteuert, sondern
so lange ausgeweitet, bis es nicht
mehr geht. Dieser Zustand tritt regelmäßig
ein, wenn die produzierten Waren und
Dienstleistungen mangels (kaufkräftiger)
Nachfrage großenteils nicht mehr verkäuflich
sind (Überproduktionskrise) beziehungsweise
wenn das Kapital sich so weit
vermehrt hat, dass es einfach keine profitablen
Anlagemöglichkeiten mehr gibt
(Überakkumulationskrise). Kapital, das
nicht mehr gewinnbringend verwertbar
ist – das ist der GAU, der größte anzunehmende
Unfall für den Kapitalismus. Diese
Krisen sind nur zu überwinden, wenn Kapital
in großem Stil vernichtet wird.
Die Notwendigkeit der
Kapitalvernichtung ist
einer, wenn nicht der
wesentliche Grund für
Kriege.
Das fällt dem Publikum normalerweise
nicht so auf. Oberflächlich betrachtet
geht es nur um die Eroberung fremder
Territorien, Rohstoffe und Märkte oder
darum, diese von der eigenen kapitalistischen
Nation abhängig zu machen. Alle
diese Kriegsziele gibt es – und sie würden
im Erfolgsfall das einheimische Kapital
der kriegführenden Nation mit neuen
profitablen Anlagemöglichkeiten versorgen.
Krieg ist aber immer unendlich teuer,
und er ist das Gegenteil von Produktivität;
er vernichtet Kapital in großen
Mengen, in allen beteiligten Ländern.
Dabei muss es dem kriegführenden Staat
– der Staat mit Marx verstanden als geschäftsführender
Ausschuss des nationalen
Kapitals – natürlich darum gehen,
die Verluste und die Kapitalvernichtung
möglichst „den anderen“ aufzubürden,
also den Kriegsgegnern, gern auch den
sogenannten kleinen Leuten im eigenen
Lande. Aber auch Teile des einheimischen
Kapitals können (und sollen) im
Krieg untergehen. Es bleiben Konkurse,
Ruinen, Grundstücke, Produktionsanlagen,
Know-how, die von den siegreichen
Kapitalfraktionen billigst übernommen
werden können, im In- und Ausland. Anschließend
ist wieder Raum, um die Ärmel
aufzukrempeln und am „Wiederaufbau“
zu verdienen – das überlebende
Kapital kann sich wieder ungebremst vermehren,
bis zum nächsten Knall.
Mit der weiten Verbreitung von Atomwaffen
hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg
offenbar die Einsicht durchgesetzt,
dass Kriege nur noch sehr bedingt führbar
sind. Man kann zwar noch Staaten
der Peripherie überfallen. Ein Krieg gegen
einen atomar bewaffneten Staat
würde aber höchstwahrscheinlich dazu
führen, dass man auch bei überlegenster
Waffentechnik nicht alle Atomwaffen
des Gegners ausschalten kann – und
wenn auch nur noch zwei oder drei Bomben
des Gegners zum Einsatz kommen,
sind die „Kosten“ des Krieges auch für
den Angreifer einfach zu hoch. Wer zuerst
schießt, stirbt als zweiter, heißt die
Kriegslogik im Atomwaffenzeitalter. Abgesehen
davon kann man sich nach einem
„siegreichen“ Atomkrieg die Trümmer des
Kapitals sowie die Märkte des besiegten
Staates auch kaum noch gewinnbringend
aneignen: Mit einer unbewohnbaren Wüste
ist kein Profit zu machen.
Was tun – ohne Atomkrieg?
Die wiederkehrenden Überakkumulationskrisen
bleiben, aber Krieg als Lösung
zur Kapitalvernichtung fällt großenteils
aus. Man kann zwar, wie gesagt, noch
Staaten der Peripherie wie den Irak oder
Libyen überfallen oder Grenada, aber
auch das bringt wenig: Die Vernichtung
der Ökonomie solcher Länder hinterlässt
auf dem Weltmarkt kaum Lücken, die für
das „westliche“ Kapital profitabel zu füllen
wären, und die besiegten Staaten
werden zu Failed States, in denen man
kein Kapital anlegen mag. Was bleibt da
übrig? Der Kapitalismus ist bei Strafe seines
Untergangs gezwungen, Möglichkeiten
der Kapitalvernichtung im großen Stil
zu finden, ohne einen großen Krieg zu
führen. Mitunter naht in höchster Not die
Rettung aus unerwarteter Richtung, wie
bei der Implosion des real nicht mehr existierenden
Sozialismus um 1989 herum.
Da ließ sich ganz ohne „heißen“ Krieg
Beute machen ohne Ende, und es eröffneten
sich jede Menge neuer profitabler
Anlagemöglichkeiten. Bitter zwar,
dass Teile der Beute entgegen der gottgewollten
Ordnung nicht an das „westliche“
Kapital fielen, sondern an russische
Oligarchen, die nun mit Wladimir Putins
Staatsapparat über einen eigenen kapitalistischen
Nationalstaat verfügen; aber
immerhin. Nur, das ist jetzt 30 Jahre her,
und der Effekt ist verpufft. Die Überakkumulationskrise
schlägt unbarmherzig
wieder zu.
Als sie 2008 als „Finanzkrise“ ans Licht
trat, konnte sie von den Staaten noch mit
Unmengen erfundenem Geld halbwegs
zugeschüttet werden; wie jeder wusste,
wurde der Crash damit zwar erfolgreich
verzögert, für die Zukunft aber verschlimmert:
Die Unmengen von Geld, die natürlich
beim großen Kapital gelandet sind,
haben dieses noch weiter aufgebläht –
und es gibt keine Anlagemöglichkeiten
für all dieses Kapital. Ein Ausdruck davon
ist die Tatsache, dass für Geld seit-
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