für mathematische Biologie, Neil Ferguson
vom angesehenen Imperial College
London zusammen mit 30 anderen Forschern
einen wissenschaftlichen Bericht,
der dramatische Auswirkungen auf
die angelsächsische Welt und kurz darauf
auf fast die ganze übrige Welt hatte.
Der „report 9“ vom Imperial College COVID
19 Response Team, wie das wissenschaftliche
Paper offiziell genannt wurde2,
baute auf einem mathematischen
epidemiologischen Modell auf. Es sprach
von der größten Gesundheitsbedrohung
durch ein Atemwegsvirus seit der Grippewelle
von 1918. Falls keine politischen
Gegenmaßnahmen ergriffen würden,
sagte der Report 550.000 Tote für Großbritannien
und 2,2 Millionen Tote für die
USA voraus sowie eine 30-fache Überlastung
der Krankenhausbetten3.
Der Bericht empfahl daher einen harten
Lockdown aus einer Kombination von
Fallisolierung, Social Distancing für die
gesamte Bevölkerung und entweder eine
generelle Haushaltsquarantäne oder
Schul- und Universitätsschließungen.
Nur dadurch könne eine Überlastung
des Gesundheitssystems und ein Mangel
an Krankenhausbetten vermieden werden,
solange kein Impfstoff zur Verfügung
stände. Der harte Lockdown müsse,
auch wenn zwischenzeitliche Lockerungen
möglich wären, „möglicherweise
18 Monate oder mehr“4, bis ein Impfstoff
zur Verfügung stände, aufrechterhalten
werden. Für das Paper wurde ein harter
Lockdown von zunächst fünf Monaten
modelliert5.
Der „report 9“ diskutierte auch eine mildere
Strategie der Eindämmung statt eines
harten Lockdowns, bei der nur Fallisolierungen,
Quarantäne und Social Distancing
für die hauptsächlich gefährdete
Zielgruppe der über 70-Jähringen eingeführt
würde. Die Anwendung dieser milderen,
zielgruppenspezifischen Strategie
würde aber lediglich zu einer Halbierung
der Anzahl an Toten, also 275.000 Tote in
Großbritannien und 1,1 Millionen in den
USA sowie zu einer 8-fachen Überbelegung
der Krankenhausbetten führen6.
Das Paper rät daher explizit davon ab7.
Der „report 9“ hatte sensationelle Auswirkungen.
Einen Tag später verhängte
Großbritannien einen harten Lockdown,
es folgten zahllose Staaten auf der ganzen
Erde, die exakt die Maßnahmen ergriffen,
die Ferguson und seine Mitstreiter
vorgeschlagen hatten. Beispielsweise
wurden in 150 Ländern Schulschließungen
durchgeführt, die allein bis Ende Mai
1,2 Milliarden Schulkinder (etwa 70 Prozent
aller Schulkinder weltweit) betrafen8.
Es dürfte das folgenreichste wissenschaftliche
Paper aller Zeiten gewesen sein. Neil
Ferguson wurde in der britischen Presse
daraufhin als „Professor Lockdown“ betitelt.
Noch heute basieren fast alle Lockdown
Maßnahmen weltweit sowie die
Begründungen dafür im Kern auf der Argumentation
dieser Veröffentlichung.
Prognosen und Wirklichkeit
Der „report 9“ vom Imperial College London
prognostizierte für die USA 2,2 Millionen
Corona-Tote und für Großbritannien
550.000. Gemäß Peter St. Onge lauteten
die Vorhersagen der Ferguson-Studie
für Kanada auf 326.000 und für Schweden
auf 85.000 Covid-19-Tote9. Dies waren
die Prognosen für den Fall, dass keine
epidemieeinschränkenden Maßnahmen
getroffen würden. Für den Fall der
„Eindämmungs-Strategie“ sollten, wie erwähnt,
die Todeszahlen nur die Hälfte betragen
und die Fallzahlen in den Krankenhäusern
achtmal so hoch sein wie die Behandlungskapazitäten.
Die Ist-Zahlen der
Corona-Toten per 26.10.2020 lauten bei
„worldometer“10: USA 231.000, Großbritannien
45.000, Canada 10.000, Schweden
6.000.
Ich denke, diese Zahlen per 26.10.2020
zeigen, wie grundlegend falsch die Horror
Prognosen von Neil Ferguson waren.
Insbesondere an Schweden kann man
das sehr gut sehen, denn dort wurden
und werden — explizit entgegen den Empfehlungen
von Ferguson — lediglich sehr
milde epidemieeinschränkende Maßnahmen
ergriffen und trotzdem sind die Todeszahlen
meilenweit unter seinen Prognosen11.
Sie liegen in den letzten Monaten
ständig nahe Null und steigen auch in
jüngster Zeit, im Gegensatz zu sehr vielen
anderen Ländern, nicht an12. Auch
die Krankenhäuser Schwedens waren,
entgegen den Prognosen von Professor
Lockdown, nie auch nur ansatzweise flächendeckend
überlastet, geschweige
denn um einen Faktor acht. Meiner Meinung
nach betrieb Herr Ferguson wissenschaftlich
substanzlose Panikmache.
Die große Weltferne der Ferguson-Prognosen
zeigt sich gut an folgender Aussage
in dem Paper: „Eine Minimalpolitik effektiver
Unterdrückung ist bevölkerungsweites
Social Distancing, kombiniert mit
der Isolierung Betroffener sowie Schul-
und Universitätsschließungen.“ Diese
Mindest-Maßnahmen müssten 18 Monate
oder länger aufrechterhalten werden,
bis ein Impfstoff zur Verfügung stünde13.
Schon ein Blick auf Deutschland zeigt,
wie falsch diese „Minimalforderung“ von
Ferguson ist, um eine Überlastung der
Krankenhäuser zu verhindern.
In Deutschland waren
die Krankenhäuser nie
auch nur ansatzweise
überlastet, im Gegenteil,
sie standen 2020 über
weite Strecken so
leer wie noch nie in
der Nachkriegszeit,
obwohl die Lockdown-
Maßnahmen in
Deutschland milder
waren als von
dem britischen
pharmafreundlichen
Epidemiologen
empfohlen.
Werfen wir nun einen kurzen Blick auf
frühere Prognosen von Neil Ferguson.
2002 sagte er bis zu 150.000 tote Menschen
durch BSE (Rinderwahn) voraus.
Tatsächlich gab es damals etwa 2.700
Tote. Das entspricht einer 55-fachen
Überschätzung. Bei der Schweinegrippe
2009 prognostizierte er 65.000 Tote
für Großbritannien, tatsächlich kam es zu
457. Das entspricht einer Fehlschätzung
um den Faktor 142. Und bei der Vogelgrippe
sagte er 2005 200 Millionen Tote
weltweit voraus — es kam aber nur zu
45514 — eine Fehlschätzung um den Faktor
439.000. Der Wissenschaftler scheint
keine glückliche Hand bei Vorhersagen
zu haben.
Im Übrigen gibt es Hinweise darauf, dass
Ferguson selbst seine Aussagen nicht allzu
ernstgenommen haben könnte. Denn
er traf sich Anfang Mai mit seiner verheirateten
Geliebten, als er die Öffentlichkeit
über die Notwendigkeit strenger sozialer
Distanzierung belehrte. Die britische
Boulevardzeitung The Sun titelte daher
am 5. Mai 2020 auf der Frontpage süffisant:
„Prof Lockdown broke lockdown to
get his trousers down“. Einen Tag später
lautete die Überschrift in der Sun: „Locked
Out — Prof Neil Ferguson resigns as
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