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1. DIE GROSSE FRAGE
Was mich und viele andere mehr noch
als die Einführung des permanenten
Ausnahmezustands und die feindliche
Machtübernahme durch das Personal
global agierender Institutionen schockiert,
sind die Mitmenschen, die diese
dramatischen Veränderungen ihres
Alltags nahezu klaglos hinnehmen. Sie
akzeptieren nie dagewesene Eingriffe
in ihre körperliche Unversehrtheit, ihre
Bewegungsfreiheit, ihre Familien. Sie
lassen zu, dass Schutzbefohlene, Alte
und Kinder, gequält werden; schweigend
dulden sie die drastische Veränderung
ihres Arbeitslebens ebenso
wie die wüste Beschneidung ihrer Vergnügen
und Erholungsmöglichkeiten.
Brav gehorchen sie all diesen Gängelungen,
und mehr noch: Oft genug verteidigen
sie diese „Maßnahmen“ aggressiv
gegen Mitmenschen, die sich
das nicht gefallen lassen wollen.
Handeln sie so aus Angst? Wenn ja,
wovor? Immer wieder meint man, den
Gehorsamen mit schlichter Aufklärung
die Unterwerfung ausreden zu
können: Diese und diese Zahlen müssen
sie doch endgültig von der Ungefährlichkeit
der Lage und der Sinnlosigkeit
der „Maßnahmen“ überzeugen!
Wenn bereits bei 50 positiv Getesteten
von 100.000 eine Region zum Risikogebiet
erklärt wird – womit drastische
Einschränkungen des Grundrechts auf
Freiheit der Person und elementarer
EU-Rechte einhergehen – und man darauf
aufmerksam macht, dass diese
50 „Positiven“ nur popelige 0,05 Prozent
der Bezugsgröße betragen, die
meisten von ihnen nicht mal Krankheitssymptome
haben und dass das
alles überhaupt nichts mit dem einzig
soliden Maß für die Gefährlichkeit einer
Krankheit, nämlich ihrer Tödlichkeit,
zu tun hat, dann – ja, dann hat
man wider Erwarten nichts, aber auch
gar nichts erreicht.
Sprachlos erlebt man zum x-ten Mal
die völlige Wirkungslosigkeit faktischer
beziehungsweise logischer Argumente
bei denen, die treu der Regierungslinie
und den Mainstream-
Medien folgen. Diese Mehrheit, zu
der auch weite Teile der ehemals regierungskritischen
„Zivilgesellschaft“
gehören, diskutiert nicht über Zahlen
und Statistiken, über Nachweise, Belege,
Theorien, Argumente, nein: Ihre
Mitglieder weigern sich, sie zur Kenntnis
zu nehmen. Sie lehnen es ab, die
Fachleute und Journalisten, die diese
Argumente vorbringen, auch nur anzuhören.
Stattdessen beleidigen sie Kritiker
der Maßnahmen, ob nun Freunde
oder ausgewiesene Experten, mit denselben
Beschimpfungen und Diffamierungen,
die sie in den Medien wieder
und wieder gehört haben, und damit
beenden sie das Gespräch, wenn nicht
den Kontakt.
Diese Menschen erwarten auch von
den Regierenden keinerlei Konsistenz:
Von einer Regierungschefin, die erst
„A“ als Begründung für massive Freiheitseinschränkungen
angibt und –
sobald „A“ entfallen ist – „B“ als völlig
andere Begründung für die Fortsetzung
derselben Einschränkungen ins
Feld führt, hätte sich doch jeder denkende
Mensch bereits ziemlich am Anfang
der „Corona-Krise“ beleidigt fühlen
müssen. So war es aber nicht, und
so ist es auch nicht. Ob bedrohlich mit
der Zahl der Toten oder, wenn diese
ausbleiben, mit den „Neuinfizierten“
gewedelt wird, ob „Neuinfizierte“ erkranken
oder gesund bleiben, ansteckend
sind oder nicht – dem Publikum
ist das alles vollkommen wurscht; es
ist ihm mithin vollkommen einerlei, ob
man an diesem Virus stirbt oder sich
trotz positiven Tests bester Gesundheit
erfreut.
Wie kann das sein? Konnte man nicht
vor Corona mit Freunden und Familienmitgliedern
diskutieren? Haben
nicht viele, die man kennt, eine akademische
Ausbildung, manchmal sogar
eine besonders lange und sorgfältige,
sind also promoviert oder habilitiert?
Darf man bei ihnen nicht eine überdurchschnittliche
Schulung in und daher
Aufgeschlossenheit gegenüber logischer,
zahlenbasierter Argumentation
vermuten? Und besaßen sie nicht
beispielsweise früher die Fähigkeit,
zwischen Einzelfall und statistischer
Erhebung zu unterscheiden? Haben
sie in der Schule nicht auch mal das
Grundgesetz durchgenommen?
Ganz offensichtlich hat der Grad der
Ausbildung – jedenfalls in Corona-Zeiten
– mit der Überzeugungskraft rationaler
Argumentation nichts, aber auch
gar nichts zu tun. Das heißt natürlich
auch umgekehrt – und das kann man
auf den großen Anti-Corona-Demonstrationen
gut beobachten –, auch der
Widerstand ist nicht vom Grad der
Bildung abhängig. Menschen aus allen
Bevölkerungsschichten, oft Menschen,
die noch nie auf einer Demonstration
waren, sind so empört über die
demütigenden Maßnahmen, dass sie
zum ersten Mal im Leben auf die Straße
gehen. Ich vermute, dass es ihnen
so geht wie mir. Sie denken nicht: „Oh,
ich habe gelesen, dass meine Menschenwürde
angetastet ist!“ – sie fühlen
es mit jeder Nötigung zum Aufsetzen
der Maske, sie leiden an den entwürdigten
Schafsgesichtern, die ihnen
entgegenkommen, sie spüren es mit
jeder Zelle ihres Körpers inklusive Gehirn:
Wir werden erniedrigt. Nicht so
die Mitläufer. Wo bitte lassen die solche
Gefühle?
Manchmal beschleicht mich sogar der
Verdacht, dass die Angepasstheit mit
dem Grad der Bildung steigt. Können
sich Gebildetere ihre inneren Widerstände
vielleicht einfach geübter weggrübeln?
Hat ihr Bedürfnis nach körperlicher
und geistiger Freiheit und
menschlicher Nähe dank besonders
langen Leids in Schulräumen und Hörsälen
dauerhaften Schaden genommen?
Wie auch immer: Die gängige Erklärung
für diese Lähmung des Verstandes
ist: Das Virus ist der neue innere
Feind, mit dem die Eliten Herrschaft
durch Angst in neuer Verkleidung ausüben.
Die Menschen werden zu Untertanen,
weil sie Angst haben vor Sterben
und Tod.
Genau das aber glaube ich nicht. Über
ein gewisses Vertrauen in die eigene
Wahrnehmung hinaus – „Wie viele